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10. Juli 2024

Kulturtipps
Es darf gehustet werden
100 Jahre »Zauberberg«

Es beginnt mit fiebrigen Halsschmerzen und führt zu einem über fast tausend Buchseiten aus allen Gesellschaftsräumen röchelnden Reizhusten in einem Schweizer Sanatorium, der bis in die tiefsten Abgründe der menschlichen Existenz hineinreicht. Ob Thomas Mann am 9. April 1919 ahnte, welche Wirkung sein neues Werk haben würde, an dem er gerade selbst schwer erkältet schrieb?  
Die Geschichte des Hamburger Ingenieurs Hans Castorp, der dem »großen Stumpfsinn« eines Lungensanatoriums ausgesetzt wird, beschäftigte Thomas Mann fünf Jahre lang in einer Zeit politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche, die er mit seismographischem Gespür auf dem »Zauberberg« Gestalt werden ließ. Alles ist relativ – die Zeit wird im Bewusstsein der Kranken anders gemessen als es die Zifferblätter der Sanatoriumsuhren angeben. Röntgenapparate machen den Menschen durchschaubar. Die große Liebe zur undurchschaubaren Clawdia Chauchat bleibt unerfüllt. Und mit der »Fülle des Wohllauts«, die allabendlich dem brandneuen Grammophon, diesem »gestutzten kleinen Sarg aus Geigenholz« entströmt, träumen sich Hans Castorp und seine Mitleidenden in eine bessere Welt. Aber die Realität endet nicht an den Mauern des Sanatoriums: Der Jesuit Naphta begeistert sich für jedwede totalitäre Ideologie vom christlichen Gottesstaat bis zur Diktatur des Proletariats. In dem freigeistigen italienischen Aufklärer Settembrini findet er seinen wortgewandten Widerpart. Am Ende zieht Hans Castorp zu den Klängen von Schuberts »Lindenbaum« in den Krieg – und wohl in den Tod. Nicht nur hier zeigt sich die unverminderte Aktualität von Thomas Manns Roman, der nur scheinbar in einer entrückten »Zauberberg«-Welt spielt.
1924 – vor genau hundert Jahren erschien »Der Zauberberg« und verkaufte sich so gut, dass wenige Jahre später bereits die 100. Auflage gedruckt wurde. Dieses Ereignis wird von den Thomas-Mann-Institutionen in Lübeck und Zürich mit einer Reihe von Ausstellungen, Vorträgen und Online-Präsentationen gefeiert. Das Lübecker Buddenbrookhaus lädt vom 14. September 2024 bis zum 31. August 2025 zur Ausstellung »Thomas Manns Der Zauberberg – Fiebertraum und Höhenrausch« in das St. Annen-Museum ein. Begleitet wird die Ausstellung von einer siebenteiligen Ringvorlesung »Magic Mountain – Visiten der Gegenwart« und den Thomas-Mann-Tagen im September 2024. Das Thomas-Mann-Archiv in Zürich produziert zum Jubiläum eine Video-Serie, die sich, unterlegt mit Originaldokumenten aus den reichhaltigen Beständen und Filmaufnahmen an den Originalschauplätzen, mit der Zeitaktualität des »Zauberbergs« auseinandersetzt. Ganz gleich also ob real oder virtuell, es wird sich lohnen, im Jubiläumsjahr des großen Romans einen Ausflug in die Welt von Thomas Manns »Zauberberg« zu unternehmen. (Text: BvB)

Thomas Manns »Der Zauberberg«. Fiebertraum und Höhenrausch
Ausstellung vom 14. 9. 2024 bis 1. 3. 2025 in der Kunsthalle St. Annen, Lübeck

Alle Informationen zu den Jubiläums-Veranstaltungen in Zürich und Lübeck findet man im Internet unter → https://derzauberberg.de/de/startseite

 

 

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