» zum Schaufenster des Verbandes Deutscher Antiquare e.V. »
Tag 1: Man bummelt sich so langsam zusammen ...
Angesagt war »13:00 – Treffen der Gruppe im Café GRASSI«. Doch bereits vorher trudelten die ersten Teilnehmer ein, um bei schönstem Sonnenschein auf der Terrasse des Cafés das ein oder andere Pläuschchen zu halten. Wiedersehen, Wiedererkennen, kleine Gespräche bei Kaffee & Kuchen (oder pinkfarbener »Faßbrause«). Bis die illustre Gesellschaft von ca. 40 Teilnehmern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden vollständig war, dauerte es dann doch noch »ein paar Minuten«. Es folgte die angekündigte »Begrüßung durch die (sehr gut gelaunte) Seminarleitung"« Markus Brandis und Alexis Cassel – mit einer kleinen Überraschung: wir wurden quasi im Vorfeld schon in zwei Gruppen »gespalten« (eine »rote« und eine »grüne«). Dies sollte sich im Verlauf der kommenden Tage noch als großartige Organisationsidee herausstellen. Den ersten Tag durften wir aber noch alle gemeinsam erleben.
Es geht los:
In der Folge versammelte uns Dr. Olaf Thormann in der beeindruckenden Eingangshalle des »GRASSI Museum für Angewandte Kunst«, der sogenannten »Pfeilerhalle«, wo wir einem kurzen Abriss der Geschichte des Gebäudes mit seinen prägnanten Art Déco-Elementen innen und der ungewöhnlichen Fassade außen (Achtung: »Rochlitzer Porphyr-Tuffstein«!), sowie des Museums bzw. der Sammlung lauschten. Von der Stiftung durch den Leipziger Kaufmann und Mäzen Franz Dominic Grassi, der Entstehung der Ausstellung »Europäisches Kunstgewerbe« 1927 als Pendant zur Leipziger Messe und Anfangsgründen der Anschaffungen zu einer Sammlung, über die Zerstörung im und nach dem zweiten Weltkrieg bis zum Wiederaufbau nach den Original-Plänen in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Die eigens für das Gebäude entworfenen und ebenfalls nach Originalquellen wiedererrichteten Treppenhausfenster nach Entwürfen des Bauhaus-Meisters Josef Albers passierend, ging es nun quasi im Laufschritt durch die imposante Sammlung des Museums – von der Antike bis in die Gegenwart. Immer wieder überraschend hierbei: die Gegenüberstellung und das fabelhafte Zusammenspiel von historischer und zeitgenössischer Kunst – etwa glänzend bunt glasierte Vasen als Statthalter für die fehlenden 15 Heiligenstatuetten in einem mittelalterlichen Flügelaltar, oder das Portrait eines jungen Mannes in Adidas-Jacke und Spitzenkragen im Raum mit der Klöppelkunst-Sammlung (»die drei Fähigkeiten«).
Einen etwas längeren Zwischenstop legten wir bei Piranesi ein: Dr. Heiko Damm referierte im entsprechenden Raum der Dauerausstellung über Leben und Schaffen des italienischen Kupferstechers, Architekten und Archäologen Giovanni Battista Piranesi, sowie über die Piranesi-Bestände des GRASSI. Auch wenn sicherlich die meisten der Zuhörenden schon Vieles wussten, konnte man doch noch die ein- oder andere Feinheit aus der Biographie des großen Künstlers mitnehmen. Beeindruckend war auch die »Einzugsgeschichte« der ausgestellten monumentalen Ziervase nach antikem Vorbild, um die der Raum gewissermaßen »drumrumgebaut« worden ist.
Nachdem wir dann nach Rokoko, Jugendstil, 80er-Jahre Design u.v.m. in der Moderne angekommen waren, ging es ohne Verschnaufpause in einen Nebenraum (hier waren wir vorerst einiger Kollegen verlustig, aber keine Sorge, sie haben sich alle wieder angefunden), in welchem der ehemalige Bibliothekar des Hauses Eberhard Patzig einige »Schmankerln« für uns vorbereitet und ausgelegt hatte. Reich illustrierte Werke zu Architektur und Dekoration, Kinderbücher, Ansichtenwerke und etliche Anekdoten erfreuten hier in der folgenden Stunde noch das Antiquarenherz.
Faustisches Gelage:
So speziell und ausführlich intellektuell gefüttert trennten sich teils unsere Wege kurz, um gegen 19 Uhr an historischer Stelle wieder zusammenzufinden: »Auerbach's Keller«! Eine der ältesten Gaststätten Leipzigs und – ich muss es eigentlich nicht sagen, tue es aber trotzdem – von literarischer Bedeutung durch Johann Wolfgang von Goethes Szene im »Faust« (Trinkgelage, Mephisto, Studenten ... man kennt es).
Das Menü in den historischen Weinstuben hielt »getrüffeltem Sellerieschaum«, »Sorbet mit Champagner« und viele andere feine Dinge für uns bereit. Insgesamt war es ein sehr launiger und geselliger Abend – mit Ehrenbekundungen für das kürzlich ausgeschiendene, langjährige und verdiente Vorstandsmitglied Meinhard Knigge, sowie den treuesten Teilnehmer der Seminare, Winfried Geisenheyner. Ich denke, wir sind alle satt, zufrieden, beseelt nach Hause gegangen.
Tag 2: »Wir haben Dinge gesehen...« – die ehrwürdigen Hallen der Bibliotheca Albertina:
Ausschlafen war so gar nicht bei diesem Seminar, das zog sich durch die ganzen vier Tage, da ein straffes Programm vorgesehen war. Was soll ich sagen: es hat sich gelohnt!
Am Morgen des zweiten Tages trafen wir uns zu 9.30 Uhr im Foyer der Bibliotheca Albertina (Universitätsbibliothek Leipzig). Ab hier griff das Rot/Grün-2 Gruppen-Prinzip, daher ist die Wahrnehmung und die Reihenfolge der Vorträge im Folgenden rein subjektiv, ich war »Gruppe Grün«.
Handschriften der besonderen Art:
Zu Beginn des Tages führte uns Dr. Christoph Mackert über einige schwindelerregende Treppen (wer muss, fährt Fahrstuhl) in einen Raum des Handschriftenzentrums. Hier hielt er eine kleine Powerpoint-Präsentation zur Geschichte der Sammlung und der Bibliothek bereit. Und dann – ... – bekamen wir Dinge zu sehen, die wirklich, wirklich besonders sind und selbst für die »Urgesteine« der Anwesenden teils noch bemerkenswert spannend gewesen sein dürften: eine Handschrift aus dem 7. Jahrhundert, ein Antiphonarblatt mit Text in deutscher Sprache (eines der ersten Zeugnisse der realgewordenen Reformation), einen Bucheinband aus dem 13. Jahrhundert, die erste dokumentierte Zeichnung von Stonehenge im Tagebuch eines »Hobby-Archäologen« aus dem 18. Jahrhundert – und das war bei Weitem nicht Alles. Dr. Mackert und seine Kollegin Katrin Sturm zeigten uns bereitwillig kuriose, noch nicht zugeordnete Einbände (hier war auf die Expertise der Antiquarsgilde gehofft worden, es wurde reichlich diskutiert), illuminierte mittelalterliche Handschriften, andere mit seltsamen Fehlfarben bei Versuchen einer Purpur-Verzierung oder mit »gerosteter« Versilberung im Text, und erklärten uns, wie "Narben" oder Fehlstellen im kostbaren Pergament genäht wurden.
Weitere albertinische Besonderheiten:
Ohne unsere Köpfe kurz geraderücken oder das soeben Gehörte wirklich verinnerlichen zu können, ging es weiter in einen getäfelten Raum im Erdgeschoss, wo Prof. Dr. Thomas Fuchs, Leiter der Sondersammlungen der Albertina, und sein Mitarbeiter uns noch mehr Schätze präsentierten. Wir sahen etwa eine Ausgabe der berühmten Polyglotte aus dem frühen 16. Jahrhundert – ein Meisterwerk der Setzkunst, enthält sie doch neben dem kompletten Text der Vulgata parallel die entsprechenden Texte auf Griechisch (mit zusätzlicher lateinischer Übersetzung), Aramäisch und Hebräisch. Interessant fand ich persönlich einen Leipziger »Studentendruck«, bei welchem ein Werk von Aristoteles so gesetzt und gebunden war, dass die Studiosi ihre handschriftlichen Notizen direkt im Buch ergänzen konnten. Beeindruckend waren auch ein ausgesprochen gut erhaltener Gobelin-Einband, (wieder) ein Tafelwerk von Piranesi und, neben einigen Schriften Luthers, auch seltene Kleinschriften zur katholischen Auseinandersetzung mit der Reformation. Ach ja: und ein ganz besonderer Einblattdruck: ein nicht genutzter und dadurch erhalten gebliebener Petersablass ... so könnte ich noch länger weitermachen, aber es folgten ja noch andere Abenteuer, von denen es zu berichten gilt!
Tag 2/2: Wir drucken! und: beeindruckende (!) Maschinen:
Nach einer kurzen Mittagspause – einige von uns saßen bei Sonnenschein vor einer kleinen Bäckerei und unterhielten sich über das soeben Gesehene, bevor wir uns wieder auf den Weg machten – fanden wir uns im Museum für Druckkunst ein. Hier ging es los mit einem »Mini-Workshop«: nach einer kurzen Einweisung zu Setzkasten, Setzen und Druckmaschine ließ man uns los auf Winkelhaken und Bleilettern. Mehr oder weniger kreativ (man hatte teils Wort- oder Spruchfindungsschwierigkeiten) brachten wir die Setzkästen durcheinander und kämpften mit der Ausrichtung der Buchstaben. Am Ende hielt aber doch jeder von uns stolz das Ergebnis in Form einer kleinen, selbstgesetzten und selbstgedruckten Postkarte in Händen.
Danach machte der Mitarbeiter des Museums Hans-Olaf Bote mit uns einen Rundgang durch die Hallen, erklärte und führte vor: von Gutenberg (inklusive Live-Gießen von Bleilettern) über riesengroße Litho-Maschinen bis hin zum Linotypeverfahren. Es war schön, diese ganzen, oft überdimensionalen Gerätschaften einmal »in Aktion« sehen zu können.
Als wir das Museum verließen, wurden wir teils ein bisschen nass (ja, manche hatten auch einen Regenschirm dabei!), was aber etliche Kollegen nicht daran hinderte, sich abermals zu einem gemeinsamen Abendessen im Gasthaus »Barthels Hof« zusammenzufinden.
Tag 3: Was man immer schonmal sehen wollte...
Diesen Morgen hatten wir länger Zeit, uns einzufinden, denn es ging »erst« um 9.45 Uhr an ehrwürdiger Stelle weiter: Deutscher Platz 1, Leipzig, Sitz der Deutschen Nationalbibliothek.
Empfangen wurden wir von Carola Staniek im historischen Sitzungszimmer – geziert mit etlichen Portraits und gesäumt von Vitrinen voller Bücher aus der Reichsbibliothek. Während der Begrüßungsansprache lagen bereits etliche Mappen auf den Tischen bereit, deren Deckel man nur zu gerne gelüftet hätte ... das passierte dann glücklicherweise kurz darauf.
Farbenpracht und Mustervielfalt
Die liebe Julia Rinck von der Buntpapiersammlung im Buch- und Schriftmuseum präsentierte uns einige der dort vorhandenen Schätze. Beim Aufschlagen der ersten Mappe ging ein Raunen, ein »Aaah!« und »Oooh!« durch die Reihen der Umstehenden (Zitat Frau Rinck: »Richtige Reaktion! Jetzt weiß ich, dass ich ein 'gutes Publikum' habe, und habe richtig Spaß!«). Es zeigten sich wunderschöne Brokatpapiere, Kleisterpapiere (auch japanische), Modeldruckpapiere, Künstlerpapiere (unter anderem von Lilli Behrens), Marmorpapiere und mehr aus den vergangenen Jahrhunderten – welch' eine Farbenpracht! Nachdem wir noch flugs einige Photos von der ausliegenden Sekundärliteratur geknipst hatten, ging es schon fast im Laufschritt weiter:
Einmal bitte Geschichte im Vorbeifliegen
Carola Staniek machte mit uns einen Rundgang durch das Gebäude, mitsamt eines Vortrages zu Bau- und Archivierungsgeschichte. Wir durften einen kleinen Blick in das aktuelle Studentendasein werfen (kurzes »Linsen« in den historischen Lesesaal etc.) und haben erfahren, wie es mit der DNB baulich weitergehen wird. Im imposanten Anbau, welcher das Buch- und Schriftmuseum beherbergt, ging es an zahlreichen Vitrinen vorbei durch Jahrtausende Geschichte von Schrift und Buch in aller Welt.
Nach 10 Minuten Kaffepause konnten wir, ebenfalls bestens informiert durch Frau Staniek, noch die spannende Kabinettausstellung zum 200jährigen Jubiläum des Börsenvereins bewundern (immer wieder mit gern gehörten Andeutungen an die Versammelten zu »Lücken im Bestand«, die vielleicht von Händlerseite gefüllt werden könnten).
Provenienzen in historischen Buchsammlungen
Für den Vortrag von Bettina Rüdiger über die Provenienzforschung blieb (in meiner Gruppe) nur noch wenig Zeit, dennoch haben wir auch hier sicherlich alle noch Wissenswertes mitgenommen, etwa über einige bestimmte Exlibris, »heraldische Herausforderungen«, aufschlussreiche Einträge von alter Hand u.m.
Tag 3/2: Rundgang unter Regenschirmen
Nach einer kurzen oder längeren Mittagspause (je nach Gruppe) fand man sich am Mendebrunnen im Zentrum Leipzigs zusammen zur geplanten »literarischen« Stadtführung durch das Graphische Viertel: »Von Lettern und Eulen, Büchern und Gänsen«. Dass es ausgerechnet jetzt stärker regnen musste, war etwas schade (»perfect timing«), aber unser sympathischer Stadtführer Sebastian Ringel machte das allemal durch seine spannenden Anekdoten über Breitkopf & Härtel, Reclam, Brockhaus und wie sie alle hießen, wett. Somit war es trotz der Witterung ein Vergnügen, per pedes die Orte der historischen Verlags- und Druckgeschichte Leipzigs zu erkunden. Ein kurzes »Hop-on, Hop-off« mit der Straßenbahn beförderte uns einigermaßen trockenen Fußes zu einem weiteren launigen gemeinsamen Abendessen im »Volkshaus Leipzig«.
Tag 4: »Last call«
Am Morgen des letzten Seminartages versammelten wir uns gegen 9.30 Uhr vor dem Schumann-Haus in der Inselstraße – für alle leicht zu finden, war man doch am Vortag bereits daran vorbeigelaufen. Kleine Überraschung hier: man hatte uns schlichtweg vergessen, die angesagte Führung durch das Museum fiel aus. Aber das war nicht weiter dramatisch, wer wollte, konnte die Welt der Schumanns allein erkunden, oder die Zeit für einen freundlichen Austausch mit den Kollegen nutzen.
Reclams Universalbibliothek
Einmal »um's Eck« gelaufen, ging es ins Reclam-Museum, wo uns ein hochmotivierter Herr Dr. Hans-Jochen Marquardt erwartete und durch die bewegte Geschichte des Verlages von 1867 bis heute führte. Auch wenn der Raum noch so klein war: die Informationen, die wir erhielten, hatten es in sich (wie erkenne ich eine Erstausgabe, welche Veröffentlichungen sind selten, was hat es mit »Kopien« auf sich usw.). Einige Teilnehmer sind ihr auch ihrem Spieltrieb nachgegangen und haben für eine Münze ein Heft aus dem Reclam-Automaten gezogen (es musste natürlich ein Nachdruck der ersten »Faust«-Ausgabe sein!). – Ein überaus gelungener Abschluss für ein großartiges Seminar.
Bye bye...
Etliche Verabschiedungen folgten bereits hier, aber etwa die Hälfte der Seminaristengruppe fand sich noch ein letztes Mal zu einer gemütlichen Runde im »Zunftkeller« zusammen, wo wieder vielerlei angeregte Gespräche stattfanden, bevor es auch für diejenigen »auf Wiedersehen und gute Heimreise« hieß.
Zusammenfassend/abschließend kann ich sagen: es war ein reich gespicktes und gut organisiertes Seminar, bei dem sicher jeder, der die Chance hatte dabeizusein, noch etwas dazulernen konnte. Wir hatten es ausnahmslos mit begeisterten, engagierten Referenten zu tun, von denen jeder Einzelne für seine Sache, sein Fachgebiet »brannte« und uns so mit seiner Passion mitgerissen hat. Die Stimmung war durchweg gut, während der vielen Gespräche mit den Kollegen habe ich, und sicherlich die meisten, noch Etliches mitnehmen können – seien es Besonderheiten im Geschäftsgebaren oder spezielles Wissen... oder eben so lusige, interne Ausdrücke wie »Mulmica« (ich denke, so gut wie jeder Antiquar müsste wissen, was damit gemeint ist ;-)). Mein ganz persönliches Highlight war das Erlebnis (!) der Buntpapiersammlung in der DNB – prächtig und ausgesprochen informativ. Ich bin sehr dankbar, beim diesjährigen Seminar dabeigewesen sein zu dürfen. Es hat nicht nur (fort-) gebildet, sondern auch sehr viel Spaß gemacht.
Text: Jasmin Fritz, Antiquariat Diderot, Kiel
Fotos: © Robert Schoisengeier
Geschäftsstelle: Norbert Munsch
Seeblick 1, 56459 Elbingen
Fon +49 (0)6435 909147
Fax +49 (0)6435 909148
E-Mail buch[at]antiquare[dot]de