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27. Februar 2023

Bücherlust
In der Höhle des Drachen. Rick Gekoskis Begegnungen mit seltenen Büchern und seltenen Sammlern.

Wer etwas über die Arbeit des Antiquars wissen will, kann Bernhard Wendts »Der Antiquariatsbuchhandel, eine Fachkunde« zur Hand nehmen. Wer sich jedoch nicht langweilen und wirklich etwas über die Faszination des Antiquariatslebens erfahren will, sollte lieber zu den Büchern von Rick Gekoski (geb. 1944) greifen. Gekoski ist eine »rara avis«, denn er handelt ebenso erfolgreich wie er unterhaltsam schreibt, zwei Fähigkeiten, die sich nicht oft zusammen finden, schon gar nicht in Deutschland. Aus seiner BBC-Sendereihe »Rare Books. Rare People« entwickelte er das Buch »Tolkien’s Gown and Other Stories of Great Authors and Rare Books« (2004), dessen gekürzte deutsche Übersetzung »Eine Nacht mit Lolita« (2006) so erfolgreich war, dass bereits 2008 eine ungekürzte Ausgabe erscheinen musste. 2021 führte er das Genre mit »Guarded by Dragons« fort, in dem er höchst unterhaltsam weniger über seine Siege und Erfolge als über seine Niederlagen und Problemfälle des Handels mit Büchern, Manuskripten und Autorenarchiven berichtet.

Wem stockte nicht der Atem, wenn er sich den Autor vor dem leeren Gepäckband am Flughafen vorstellt, wartend auf seinen Koffer mit 9 (neun!) Erstausgaben von Joyce's »Ulysses« – aber der Koffer kommt nicht! Ein Glück nur, dass er später auf dem Rollfeld (!) gefunden wird, wo die nachfolgenden Flieger über ihn hinwegdonnerten. Da bekommt der deutsche Ausdruck »einen Koffer aufgeben« seinen tieferen Sinn und man denkt an an die Maxime »Gott bewahre uns vor allem, was noch ein Glück ist« (F. Torberg, »Die Tante Jolesch«).

Gekoski blickt auf einen reichen Erfahrungsschatz zurück, der ihn bis in seine Anfangsjahre als Händler Mitte der 80er Jahre führt. Er nimmt uns etwa mit an den Ort, an dem seine Liebe zum Sammeln begann – beim Durchstöbern von D. H. Lawrence-Erstausgaben auf einem leicht verdächtigen Parkplatz in Birmingham. Es folgen schwindelerregende Begegnungen mit literarischen Giganten: Gekoski verlegte William Golding, spielte Tischtennis mit Salman Rushdie und aß mit Graham Greene zu Mittag. Durch einen Glücksfall konnte er Sylvia Plaths persönliches Exemplar von Scott Fitzgeralds »The Great Gatsby« erwerben, was sich aber umgehend als Pyrrhussieg herausstellte, da der gefeierte Dichter Ted Hughes das Exemplar seiner Ex-Frau kurzerhand als sein Eigentum reklamierte.

Ebenso lebhaft schildert Gekoski jene Zeiten, in denen man als Antiquar noch Städtereisen zum Einkaufen unternommen hat, eine schöne lebenspralle Erfahrungswelt, die durch das Internet ausgestorben ist. Scharfsinnig analysiert er die Veränderungen, die der Online-Buchhandel für das gehobene Antiquariat mit sich gebracht hat:

»Meine Abneigung gegen die Amazon-Töchter AbeBooks und ZVAB kommt nicht nur daher, dass sie eine weitaus wünschenswertere Lebensform verdrängt haben, sondern auch darin, dass sie voll sind von Falschnachrichten, verqueren Ansichten, Scharlatanen, Unwissenden und windigen Geschäftemachern. Es gibt nur wenige Regeln, und selbst die werden nicht durchgesetzt [...] Zwar gibt es Berufsverbände, vor denen man seine Kompetenz nachweisen muss, aber 99,99 Prozent der Online-Buchhändler gehören keinem der Verbände an [...] Jeder Idiot kann Bücher bei AbeBooks einstellen, und viele tun das auch.« (Übers. E.K.)

Man lernt bei Gekoski viel über seltene Bücher, Widmungsexemplare und Manuskripte sowie über Preisbildung, Preisentwicklung, Auktionen, Rechtsstreitigkeiten und allgemein über den Handel mit seltenen Büchern und Autorenarchiven. Eine wertvollere und unterhaltsamere Bettlektüre für Antiquare und Sammler ist schwer vorstellbar. (Text: EK)

→ Rick Gekoski: Guarded by Dragons. Encounters with Rare Books and Rare People. London, Constable, 2021. 240 S.

 

 

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