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6. Juni 2023

60 Jahre Antiquariatsmesse Stuttgart / 2
Der wahre Sammler rennt – oder lost
Erfahrungen am ersten Messetag

Es ist 11 Uhr. Die Spannung vor dem Württembergischen Kunstverein steigt ins Unerträgliche. Vor dem Eingang bildet sich eine lange Schlange von Menschen, die sich einen Messekatalog unter den Arm geklemmt haben. Gleich öffnen sich die Türen und die Menge strömt hinein – im Sprintertempo, manche in Turnschuhen als gelte es, den New York Marathon in einem furiosen Start-Ziel-Sieg für sich zu entscheiden. Wer zuerst kommt, kauft zuerst. Der Wettlauf um die begehrtesten Stücke aus dem Katalog der Antiquariatsmesse Stuttgart ist legendär. Der wahre Sammler rennt, seit 2009 wird gelost. Dieter Zipprich, Sibylle Wieduwilt und Barbara van Benthem haben einige Aussteller und Messestammkunden nach ihren schönsten Erlebnissen aus den ersten Messeminuten befragt.


Sind Sie jemals nach einem Titel aus dem Messekatalog gerannt oder haben Sie schon einmal gelost?

Beides mehrmals. Einmal bin ich aus Leibeskräften gerannt und musste feststellen, dass kein Mensch außer mir das Stück haben wollte. In anderen Fällen hatte ich gegen durchtrainierte Sportstudenten das Nachsehen.
Prof. Dr. Helmuth Mojem

Das Rennen war immer etwas speziell Deutsches.
Simon Beattie

Ja! Einmal rannte auch ein Sohn für uns und schlug - zu dessen großem Ärger – einen prominenten Sammler.
Akka von Lucius und Prof. Dr. Wulf D. von Lucius

Beides. An einer Verlosung habe ich schon oft teilgenommen. Es ist wie im richtigen Leben: Mal gewinnt man, mal verliert man. Am besten erinnere ich mich jedoch an den versuchten Kauf eines Kinderbuches. Ich war zusammen mit einer Kollegin in Stuttgart, zu Zeiten als es noch Läufer gab. Wir ließen den Leichtathleten den Vortritt, erreichten aber geschwinden Schritts den Stand des Händlers, wo wir sofort mit der Begutachtung des Objektes begannen. Eine alte Dame, sicher schon weit in den Achtzigern, mit großen goldenen Ohrringen und einer winzigen grünen Handtasche, die etwas später eintraf, fragte uns sehr freundlich, ob sie das Buch einmal sehen dürfe, sie hätte dieses Buch als Kind von ihrem Vater geschenkt bekommen. Wer könnte einer so netten Dame mit nostalgisch verklärtem Blick diesen Wunsch abschlagen? Dann wandte sie sich langsam, aber siegesgewiss lächelnd dem Antiquar zu, und sagte nur ein einziges Wort: »Gekauft!« Wir schauten uns verdutzt an und mussten unsere Niederlage eingestehen. Ich kann mich noch erinnern, dass die Dame das verpackte Büchlein triumphierend über dem Kopf schwenkte, als sie den Stand verließ. Seitdem gebe ich bei Messen und auch in Antiquariaten kein Buch mehr aus der Hand. Auch nicht an alte Damen mit grünen Handtäschchen …
Hans Eckert

Am besten erinnere ich mich an meinen ersten Kauf auf der Antiquariatsmesse – der aber eigentlich nur ein Kaufversuch war. Genauer gesagt war es eine Blamage. Es war auf der ersten Stuttgarter Antiquariatsmesse 1962. Ich arbeitete damals noch als Leiter des Verlags Freies Geistesleben in Stuttgart. Der Andrang war riesengroß, die Menschen warteten auf den Treppenstufen, bis sie endlich vorgelassen wurden. Dann durften wir hinein, und ich war erstaunt, was es dort alles gab. Gleich neben dem Treppenaufgang war der Stand von Fritz Eggert, ich blickte in die Vitrine und da lag Hegels »Phänomenologie des Geistes«. Ich fragte nach dem Preis und war ernüchtert. Viel zu hoch! Die nächsten Messetage überlegte ich hin und her, ich habe mit mir gekämpft. Am letzten Tag ging ich schließlich hin und verlangte den Hegel. Und Fritz Eggert? Er brach in schallendes Gelächter aus und stupste den vorbeikommenden Frieder Kocher-Benzing: »Du, stell dir vor, der will den Hegel haben!« Die beiden lachten mich aus. Hochroten Kopfes ließ ich mich aufklären, dass ich mindestens der zehnte Interessent gewesen sei, chancenlos. Ich habe den Kampf gegen meinen Geiz gewonnen, aber den Kampf um das Buch verloren. Und da habe ich gewusst, ich würde meinen Beruf wechseln. Zehn Jahre später war ich dann selbst Aussteller in Stuttgart.
Herbert Blank

Unvergessen ist mir die mediale Aufregung um die Handexemplare von Arthur Schopenhauer, die wir mit Katalog 100 zur Messe im Februar 1973 ankündigten.
Susanne Koppel

Ja. Meist waren es aber erfreulicherweise studentische Hilfskräfte aus unserem Haus, denen es großen Spaß bereitet hat. In den meisten Fällen hatten wir Glück. Das Verlosen ist nach meinen bisherigen Erfahrungen nicht sehr freundlich gegenüber Einzelkunden, da Institutionen teilweise mit einem Dutzend Mitarbeitern kommen, die sich alle ein Los besorgen.
Dr. Thomas Schnabel


Auszüge aus dem Handbuch 2023/2024 des Verbandes Deutscher Antiquare e.V. zum Thema: »Gutenberg ist an allem Schuld. 60 Jahre Antiquariatsmesse Stuttgart«. Das neue Handbuch erscheint zur Antiquariatsmesse vom 16. bis 18. Juni 2023. Weitere Informationen zur Messe unter www.antiquariatsmesse-stuttgart.de

 

 

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