» Zur Antiquariatsmesse Stuttgart - 24. - 26. Januar 2025 »
14. November 2022
Frauenpower im Antiquariat. Dieses Mal sind wir zu Besuch in Berlin. Denn wir finden: Hinter jedem Antiquariat steht ein kluger Kopf und sehr oft eine kluge Frau. Die Berliner Antiquarin und Mitorganisatorin des Seminars für Antiquare Alexis Cassel hat viel zu erzählen. Im Gespräch mit Sibylle Wieduwilt und Barbara van Benthem.
Wie und warum bist Du Antiquarin geworden?
Eigentlich zufällig, obgleich ich während meines Studiums der Kunstgeschichte, Anglistik und Byzantinistik wechselweise in Bibliotheken, für Verlage, im Archiv sowie im Museum arbeitete und regelmäßig Antiquariate - die gab es damals an jeder zweiten Ecke – mit Vorliebe durchstreifte. Zu meinen prägenden Erinnerungen zählen endlos verbrachte Stunden in der einzigartigen Münchner Shakespeare-Forschungsbibliothek. Nach dem Studium zog es mich zum Kunstbetrieb, es folgte die Mitarbeit an internationalen Ausstellungsprojekten und die Zusammenarbeit mit Künstlern und Fotografen. Ich begann Foto- und Künstlerbücher zu erwerben und Messen zu besuchen. Der Kunstszene und Liebe (zu einem Antiquar) wegen zog ich ins Rheinland und schwenkte um in die Welt des Antiquariats.
Es gibt für Antiquare keine spezielle Ausbildung, aber viele Wege führen in den Antiquariatsbuchhandel. Welche Voraussetzungen sind für Dich unerlässlich, um eine gute Antiquarin zu sein?
Antiquare und Antiquarinnen sind wohl wahr oft Autodidakten und Quereinsteiger, mitunter ziemliche Eigenbrötler und Idealisten, manche mit großer Expertise. Für mich persönlich ist die Begeisterung für Menschen und Bücher und die Lust am lebenslangen Lernen, gepaart mit Geschäfts- und detektivischem Spürsinn entscheidend.
Du bist seit einigen Jahren mit für die Organisation des Seminars für Antiquare zuständig. Was sind die Hauptaufgaben des Seminars?
Das Seminar für Antiquare bietet die Gelegenheit bibliophile Orte und Schätze zu besuchen, Sammlern und Kennern zu begegnen, sich fachlich auszutauschen und in geselliger und oft heiterer Runde besser kennenzulernen. Die Betrachtung ausgewählter Originale und die Möglichkeit Einblicke in entlegenere Gebiete zu erhalten werden ebenso geschätzt wie das Gespräch mit Gleichgesinnten. Das Programm ist oft ein Ergebnis dieses kollegialen Austausches und wird in vielen Fällen erst durch die intensiven Kontakte der Kollegen vor Ort überhaupt ermöglicht. Wir möchten jüngere Antiquare zur Teilnahme am Seminar ermuntern, auch weil wir davon überzeugt sind, dass ihr Input für die Zukunft des Antiquariats von großer Wichtigkeit ist.
Braucht die Branche weitere Formate der Weiterbildung?
Der Handel mit Büchern, Druckerzeugnissen und Handschriften erfordert ein hohes Fachwissen und viel Erfahrung im Umgang mit Originalen. Hinzu kommen neue Herausforderungen angesichts von Themen wie Kulturgutschutz und Provenienzforschung, sowie eine Vielzahl bürokratischer Neuerungen. Ein Brainstorming zum Thema Weiterbildung wäre von daher in Hinblick auf einzelne Themen wichtig.
Es gibt viele Möglichkeiten ein Antiquariat zu führen, z.B. als reiner Internethandel, durch Kataloge, Messen, Ladengeschäfte … Was ist für Dich vorrangig?
Kataloge, Messen und vor allem das Ladengeschäft waren früher gemeinsam maßgeblich als Vertriebsweg. Inzwischen spielt der Online-Handel, wie bei vielen Kollegen, die Hauptrolle. Die Pflege langjähriger Kontakte besonders aus dem Kunstsektor und die Entwicklung neuer Netzwerke sind außerdem von Bedeutung.
Die Zukunft der Leipziger Antiquariatsmesse ist fraglich. Braucht der Handel überhaupt noch Messen?
Messen sind wichtige Orte der Begegnung für Büchermenschen, Sammler und den Handel. Die Frage ist wie man es schafft, sie mit neuem Leben zu füllen, auf besondere Themen und aktuelle Sammlungsgebiete aufmerksam zu machen, sie zum Gespräch zu machen und mit niedrigschwelligen Angeboten jüngere Sammler – die für Vintage und Ephemera brennen – auch in Zukunft zu locken. Eine Verjüngung und Selbstbefragung sind dringend notwendig, ebenso die Einbettung des Antiquariats in gesellschaftlich relevante Trends wie Nachhaltigkeitsstrategien.
Du hast früher auch Veranstaltungen und Lesungen für Dein Geschäft organisiert. Für wie wichtig hältst Du es, dass die Antiquare mit solchen Angeboten auf sich aufmerksam machen?
Veranstaltungen und Lesungen können meines Erachtens dazu beitragen, Neugier an Büchern und »alten« Themen zu wecken und helfen neue Diskurse anzuregen. Menschen wollen weiterhin Erlebnisse unter Einbezug aller Sinne mit anderen teilen, auch weil es sie anders rührt und so emotional ins Gedächtnis einschreibt. Gezielte Veranstaltungen – hierzu zählen auch digitale Formate – sind für mich daher unbedingt ein Weg die Branche sichtbarer zu machen.
Welches Buch sollte eine Antiquarin unbedingt lesen oder gelesen haben?
Zu meinen Favoriten zählt der opulente Band »Blickfang. Bucheinband und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919–1933« von Jürgen Holstein – eine wahre Fundgrube antiquarischen Wissens und ein Fest fürs Auge. Zur genüsslichen Lektüre empfehle ich außerdem den Roman »Die rechtschaffenen Mörder« von Ingo Schulze, in dem es um Bücher überhaupt, deren Wertschätzung und Unersetzlichkeit geht und wo ein schrulliger Antiquar die Hauptrolle spielt. Ein Buch in der eine Antiquarin vorkommt wäre mir neu. (Anmerkung der Redaktion: Die Aufzeichnung der Lesung und des Interviews mit Ingo Schulze, anlässlich des »Roten Sofas Online« 2020 finden Sie unter → https://www.youtube.com/channel/UCar1Ry1dZL-gHBh3ewfvVyA/videos )
Was machst du, wenn kein Buch in der Nähe ist?
Das kommt so gut wie nie vor. Ein Buch trage ich eigentlich immer bei mir. Wenn ich nicht lese, bin ich gerne im Museum, in Kirchen und auf Flohmärkten, per Velo oder in Bus oder Bahn unterwegs, wo ich oft darüber staune, wie viele Bücherratten sich im öffentlichen Verkehr tummeln – zumindest in Berlin!
ZUR PERSON
Geboren in New York. Magisterstudium der Kunstgeschichte, Englischen Philologie und Byzantinistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mitinhaberin eines Antiquariats mit Ladengeschäft in Berlin (2004-2017). Messeteilnahmen in Ludwigsburg, Hamburg, Düsseldorf, Berlin und Leipzig. Organisation von Veranstaltungen und Lesungen. Seit 2018 Versandantiquariat, daneben freie Tätigkeiten. Mitglied im Verband deutscher Antiquare / ILAB, seit 2018 im Fortbildungsausschuss.
Schwerpunkte: Literatur, Fotografie, Kunst, Bibliophilie, Geisteswissenschaften.
Antiquariat Cassel & Lampe – METROPOLIS BOOKS BERLIN
Sigmaringer Straße 1
10713 Berlin
Telefon: +49 30 / 310 12 286
→ info[at]metropolisbooks[dot]de
→ www.metropolisbooks.de
Geschäftsstelle: Norbert Munsch
Seeblick 1, 56459 Elbingen
Fon +49 (0)6435 909147
Fax +49 (0)6435 909148
E-Mail buch[at]antiquare[dot]de