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7. März 2023

Von Antiquaren und Sammlern

... Björn Biester

Normalerweise stellt er die Fragen. Seit vielen Jahren beobachtet und kommentiert Björn Biester den Antiquariatshandel, er befragt Händler und Sammler, bespricht Kataloge, Messen, Auktionen, Bücher, Ausstellungen, und beschäftigt sich über eine Vielzahl von Themen mit der Geschichte, der Gegenwart und der Zukunft der Branche. Als Redakteur von »Aus dem Antiquariat« und über seinen Twitter-Account »Philobiblos« ist er zu einer wichtigen Stimme für Antiquare und Sammler geworden. Heute machen wir es andersherum. Im Gespräch mit Sibylle Wieduwilt und Barbara van Benthem stellen die Antiquarinnen die Fragen, und Björn Biester gibt Auskunft.

Sie sind Redakteur der Zeitschrift »Aus dem Antiquariat« … Was kann diese Zeitschrift für die Branche leisten und was nicht?
»Aus dem Antiquariat« (AdA) informiert unter anderem über Branchenereignisse, Firmenveränderungen (Neugründungen, Umzüge, Geschäftsaufgaben) und Personalien (Geburtstage, Jubiläen, Todesfälle). Sie bietet darüber hinaus ein Forum für den Austausch über wichtige Branchenfragen – zuletzt war das etwa die Frage nach der Zukunft der Antiquariatsmessen. Dieser Austausch lebt von der Beteiligung derjenigen, um die es geht. Brauchen wir mehr Diskussionen? Finden diese heute bevorzugt im persönlichen Gespräch statt, weil man sich nicht exponieren möchte? Das sind Fragen, die nicht ein Redakteur entscheidet, sondern letztlich die Basis einer Zeitschrift.

Warum gibt es diese Zeitschrift unter dem Dach des stark auf Verlage und Sortimentsbuchhändler konzentrierten Börsenvereins?
Der Börsenverein versteht sich als Stimme der gesamten Buchbranche, das schließt den Antiquariatshandel ein; das war eigentlich immer so. Richtig ist andererseits, dass die meisten Börsenvereinsmitglieder heute Verlage oder Buchhandlungen sind, aber das Bewusstsein innerhalb des Börsenvereins für die Vielfalt der Branche ist groß. Was konkret AdA angeht: die Zeitschrift hing früher als Rubrik und Beilage mit dem »Börsenblatt« zusammen – und hat die Loslösung vor diesem vor rund 20 Jahren bis heute überlebt.

Für wie wichtig halten Sie Berufsverbände?
Berufsverbände halte ich in der Buchbranche für sehr wichtig. Lobbyarbeit könnten sonst nur große Unternehmen betreiben. Und ich sehe natürlich die Leistungen gerade des Verbands Deutscher Antiquare als wichtigstem Berufsverband des Branchenzweigs – das beginnt mit der persönlichen Mitgliedschaft, für die Bürgen benannt werden müssen, und hört mit der Stuttgarter Antiquariatsmesse und dem Seminar für Antiquare nicht auf.

Wie sind Sie dazu gekommen über antiquarische Themen zu berichten?
Meine Großeltern hatten ein Ladenantiquariat in der Hamburger Innenstadt. Als Kind bin ich oft in dem Laden gewesen. Besonders fasziniert hat mich das ausgedehnte Lager, das in einem Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg bestand. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich dort überhaupt gewesen bin – aber die dunklen Gänge mit penibel geordneten Bücherbergen in selbstgezimmerten Holzregalen haben stark gewirkt. Nach dem Studium war ich 1997 ein halbes Jahr Praktikant im Buch- und Kunstauktionshaus F. Dörling in Hamburg (heute Ketterer Rare Books) und habe anschließend 1998 und 1999 bei Reiss & Sohn in Königstein im Taunus als Aushilfe gearbeitet; in beiden Häusern habe ich viel gelernt und mit der Tätigkeit bei Reiss meine Doktorarbeit querfinanziert. Ich war dann unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Erfurt tätig und für ein Jahr als Humboldt-Stipendiat in den USA. Die Möglichkeit, 2006 die Nachfolge von Ilse Unruh als AdA-Redakteur anzutreten, habe ich kurzentschlossen genutzt und diesen Schritt bis heute nicht bereut; man ist einerseits nahe am Antiquariatshandel, andererseits arbeitet man mit Texten und Beiträger*innen – für mich beruflich eine ideale Verbindung.

Welches sind die Schwerpunkte, über die Sie regelmäßig berichten und warum?
Jede Ausgabe von AdA ist grundsätzlich ähnlich aufgebaut: es gibt kürzere und längere Aufsätze, meist zu historischen und bibliographischen Themen, Ausstellungsbesprechungen, Berichte vom aktuellen Branchengeschehen, zum Beispiel Messen, Rezensionen relevanter Neuerscheinungen, einen Nachrichtenteil und einen Kalender für Messen, Auktionen und Ausstellungen. Dahinter steht die Absicht einer umfassenden Beschäftigung mit den Gebieten Antiquariat (in allen Facetten), Bibliophilie, Sammeln und Buchgeschichte. Vollständigkeit ist unmöglich, aber Leser*innen sollen doch durch die Lektüre und die Verbindung mit eigenen Erfahrungen und Interessen angeregt und bereichert werden.

Was ist die Zielgruppe der Zeitschrift?
Die Zeitschrift richtet sich zum einen an Antiquar*innen, zum anderen auch an bibliophil interessierte Menschen, Sammler*innen und Buchwissenschaftler*innen. Für Auszubildende und Studierende gibt es ein günstiges Aboangebot zum Einstieg.

Erreicht man heute überhaupt noch jüngere Leser mit einer gedruckten Zeitschrift?
Es ist schwerer als früher, eine gedruckte Zeitschrift am Leben zu halten. Andererseits führt die Chance, jemandem die Zeitschrift vorzustellen, nicht selten zu einem Abonnement, auch bei jüngeren Lesern. Da besteht also Anlass zum Optimismus. Hilfreich ist die Verbindung der Zeitschrift mit der Antiquariatsseite auf boersenblatt.net und meinem Twitter-Account »Philobiblos«. Das ist nicht als Bewerbung der Zeitschrift gedacht, sondern als zeitgemäße Parallelität der Zugänge, aber es wirkt sich positiv aus.

Sie nutzen sehr aktiv »Twitter« als Kommunikationsform, warum? Was macht für Sie diese Kurzform der Nachrichtenübermittlung so interessant?
Twitter ist einfach zu bedienen, schnell und individuell nutzbar. Ich nehme dort Informationen auf und kann Informationen weitergeben. Ich weiß aus Reaktionen, dass meine Tweets gelesen werden, auch von Menschen, die selbst nicht bei Twitter sind. Aus Twitter-Kontakten haben sich mehrfach erfreuliche persönliche Begegnungen ergeben. Man erfährt, was andere bewegt, und kann sich vernetzen. Es bleibt ein ambivalentes Vergnügen, was nur zum Teil mit der turbulenten Twitter-Übernahme durch Elon Musk zusammenhängt; Häme und Spott werden nicht nur von anonymen Trollen verbreitet. Mal sehen, wie es mit Twitter weitergeht.

Welche Vertriebswege halten Sie, von außen betrachtet, für essenziell für den Antiquariatshandel?
Ohne Abebooks/ZVAB und Booklooker kommen viele Antiquare nicht aus, wie es scheint. Zu den vitalsten Vertriebswegen für den Antiquariatshandel zählen wahrscheinlich die Buchauktionen, die ich mir deshalb gern anschaue, ob übers Internet oder im Saal. In jeder Auktionssaison wechseln mehrere 1.000 teure Bücher den Besitzer, die Leistungsfähigkeit dieses Bereichs ist enorm. Beachtlich finde ich den Modernisierungsschub, den das Auktionsgewerbe während der Pandemie erfahren hat – auch wenn die Grundregeln des Versteigerns seit langer Zeit praktisch unverändert gelten.

Sie haben sich einige Jahre aktiv um die Vermittlung zwischen Buchmesse Frankfurt und der Frankfurter Antiquariatsmesse gekümmert und sind nun auch wieder aktiv geworden, um die Leipziger Antiquariatsmesse am Leben zu erhalten. Warum sind Ihnen die Messen so wichtig?
Antiquariatsmessen können unter verschiedenen Perspektiven betrachtet werden; für mich sind sie vor allem ein Ort dichter Kommunikation mit Branchenteilnehmer*innen und anderen Besuchern. Ich erfahre auf Messen Neuigkeiten und bekomme Feedback für meine Arbeit. Natürlich sind Messen auch Leistungsschau; es interessiert mich sehr, wie Aussteller sich präsentieren, welche Ware sie mitbringen, wie der Katalogbeitrag aussieht und so weiter. Messen haben am meisten unter den Coronaeinschränkungen gelitten, umso mehr freue ich mich auf Leipzig im April und auf die beiden Messen in Ludwigsburg im Juni. Hinter dem Engagement für die Wiederbelebung der 2020, 2021 und 2022 ausgefallenen Leipziger Antiquariatsmesse steht übrigens eine Verbindung von Börsenverein und Leipziger Buchmesse – dies als Nachtrag zum Thema Berufsverbände. Wünschenswert fände ich, auch auf der Frankfurter Buchmesse wieder eine Antiquariatsabteilung zu haben, wie es ab 2005 jahrelang gut funktionierte, dann aber leider abgebrochen ist.

Zum Schluss zwei Fragen, die wir allen Interviewpartnern stellen:

Welches Buch sollte ein Redakteur unbedingt gelesen haben?
Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Ein Antiquariatsredakteur – aber wie viele gibt es hierzulande überhaupt? – sollte vielleicht eine Ahnung haben von der Geschichte des Branchenzweigs, mit dem er sich befasst. Im Antiquariat spielt, stärker als anderswo, die Einzelpersönlichkeit eine Rolle, weshalb autobiographischen Texten besondere Bedeutung zukommt. Empfehlenswert sind die Erinnerungen von Christian Nebehay, H. P. Kraus und Fritz Homeyer oder auch von Leona Rostenberg und Madeleine B. Stern. Aus der Gegenwart nenne ich die sehr lesenswerten Erinnerungen »Von Büchern und Büchernarren« von Godebert M. Reiß.

Was machen Sie, wenn kein Buch in der Nähe ist?
Ich unternehme gern ausgedehnte Wanderungen, eigentlich bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Der Taunus bietet sich aus Frankfurter Sicht an, aber auch die bayerischen Alpen bei Berchtesgaden mag ich – nur sind die über verstopfte Autobahnen für einen Kurzaufenthalt nicht leicht zu erreichen. Eine Neu- oder Wiederentdeckung ist der Harz; 2022 war ich zweimal auf dem Brocken, drumherum ist viel zu entdecken, eine Mischung aus Natur, Romantik, Zeitgeschichte und den Auswirkungen des Klimawandels. Verbinden kann man eine Harzreise mit Goethe- oder Heine-Lektüre und Besichtigungen so interessanter und liebenswerter Städte wie Goslar, Quedlinburg und Wernigerode.


ZUR PERSON
Björn Biester (geb. 1971) ist Historiker und seit Oktober 2006 Redakteur der Zeitschrift »Aus dem Antiquariat«, die viermal im Jahr erscheint. Neben seiner Redakteurstätigkeit kümmert er sich unter anderem um die Historische Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

 

 

Verband Deutscher Antiquare e.V.

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