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7. Juni 2024

Von Antiquaren und Sammlern

... Frieder Weitbrecht

Beruf oder Berufung? Einmal Antiquar, immer Antiquar? Diese Fragen und viele mehr schwirrten durch unsere Köpfe, als wir unseren Gesprächspartner Frieder Weitbrecht vom Antiquariat Steinkopf anlässlich seines herannahenden 80. Geburtstags aufsuchten. Barbara van Benthem und Sibylle Wieduwilt haben sich nach langer Pause wieder auf die Reise begeben. Dieses Mal nach Stuttgart, um den Jubilar ausführlich zu befragen.

1. Du bist Inhaber des Antiquariats Steinkopf, eines der ältesten in Deutschland. Seit wann existiert das Antiquariat und seit wann ist es im Besitz der Familie Weitbrecht?
Die Firma Steinkopf wurde am 1. Juli 1792 durch Johann Friedrich Steinkopf gegründet.1873 heiratete Marie Steinkopf den Ersten Sortimenter der Buchhandlung, meinen Urgroßvater Conrad Weitbrecht. Die Firma bestand aus einem Verlag und einem Antiquariat, später kamen eine Druckerei und eine Buchhandlung dazu. Gepflegt wurden zwei Spezialgebiete: evangelische Theologie und Württembergica. Über Jahre hinweg hatte der Urahn das alleinige herzogliche Privileg, in Stuttgart mit antiquarischen Büchern zu handeln.

2. Was bedeutete dieses herzogliche Privileg? Wie lange bestand es?
Durch das Privileg besaß Steinkopf das Vorrecht, als Einziger in Stuttgart mit Antiquaria zu handeln. Steinkopf hatte dadurch eine Monopolstellung. Ein entscheidender Vorteil gegenüber der Konkurrenz, was bei einigen, verständlicherweise, für Unmut sorgte. Vor Jahren besuchte ich eine Ausstellung zur Geschichte der Franck'schen Verlagshandlung. Dort gab es einen Brief des Firmengründers, in dem dieser als junger Verleger forderte, das herzogliche Privileg für Steinkopf müsse endlich aufgehoben werden. Das Privileg bestand für mindestens 30 Jahre.

3. Wo war der erste Stammsitz von Steinkopf in Stuttgart?
Der Stammsitz war in der Holzstraße 18. Heute befindet sich dort, wesentlich größer, eine Stuttgarter Institution: das Kaufhaus Breuninger.

4. Wer ging dort ein und aus?
Unter anderem Friedrich Hölderlin. Der Ahnherr Steinkopf hatte die Idee, gemeinsam mit Hölderlin eine literarische Zeitschrift namens »Iduna« herauszubringen. Steinkopf wollte den wirtschaftlichen, Hölderlin den literarischen Part übernehmen. Seine Bedingung war: Hölderlin sollte Goethe und Schiller zur Mitarbeit bewegen, damit sie Gedichte und Prosastücke zur »Iduna« beitrugen. Hölderlin bemühte sich redlich, aber vergeblich. Goethe und Schiller waren an den Verleger Johann Friedrich Cotta gebunden, der zuerst in Tübingen, dann in Stuttgart firmierte. So scheiterte die Zusammenarbeit an den hohen Erwartungen Steinkopfs, die Hölderlin nicht erfüllen konnte – und mit ihr die »Iduna«. Die Briefe zwischen Hölderlin und Steinkopf sind heute in der Großen Stuttgarter Ausgabe der Hölderlin-Werke nachzulesen. Die Originale verbrannten im Zweiten Weltkrieg.   

5. Familientradition verpflichtet. Hast du jemals daran gedacht, einen anderen Beruf zu ergreifen? Wie war dein persönlicher Weg ins Antiquariat?
Ich hätte mir gut vorstellen können, Medizin zu studieren und wäre wohl auch ein ordentlicher Landarzt geworden. Aber als einziger Sohn unter fünf Kindern war es für meinen Vater nicht anders vorstellbar. Mein Protest bestand darin, dass ich nicht in die Lehre nach Bremen ging, wie vom Vater beschlossen, sondern zu Albert nach Freiburg, eine gute Wahl. Später folgten Wanderjahre in Gießen und Zürich. Mein Vater forderte, dass ich der Tradition folgend in einer »frommen« Buchhandlung hospitierte. Das geschah in Zürich in der Christlichen Vereinsbuchhandlung am Limmatquai. Dort lernte ich meine spätere Ehefrau Bente kennen, eine dänische Buchhändlerin, die in die Schweiz gekommen war, um Deutsch zu lernen. Mittlerweile sind wir seit 54 Jahren verheiratet.

6. Der »Albert« war ein Antiquariat mit Buchhandlung und Konzertagentur in der Freiburger Kaiser-Joseph-Straße. Warum war dies für dich eine gute Wahl?
Damals war der Albert die größte Buchhandlung im südwestdeutschen Raum. Das Antiquariat unter Herrn Hennig, später unter Herrn Förster, war eine prima Lehrstelle. Wir waren zwölf Lehrlinge. Die Universitätsbibliothek Konstanz war zu jener Zeit im Aufbau begriffen. Jede Woche fuhr ein Lieferwagen mit Büchern an den Bodensee. Der Job des Fahrers war höchst begehrt, denn zur Fahrt gehörte eine Einkehr im Gasthof »Hecht« in Konstanz. Die Albert-Konzerte waren ein weiteres Plus. Mit einer Ausnahme: Wenn der Verkauf für die Musica-Viva-Konzerte lausig voranging, mussten die Lehrlinge hin. Das war nicht immer vergnügungssteuerpflichtig.

7. Du bist also gelernter Buchhändler und Antiquar. Heutzutage gibt es viele weitere Wege, als Quereinsteiger in den Beruf zu kommen. Hältst du eine Lehre nach wie vor für wichtig?
Ich würde immer zu einer Lehre, oder wenigstens zu einem Praktikum, im Buchhandel raten.

8. Zum »Steinkopf« in Stuttgart gehörte neben dem Antiquariat auch eine Buchhandlung, beides für lange Zeit in der Marienstraße unter einem Dach mit dem Kunsthaus Schaller. Wie haben das alte und neue Buch, die alte und neue Kunst voneinander profitiert?
Die Ladengemeinschaft haben Ulrike Barth und ich geplant. Es ging um den Umbau des Hauses, den Schaller nicht alleine stemmen konnte. Wir hatten 25 sehr gute Jahre. Durch die Kontakte zu Diogenes aus meiner Zürcher Zeit hatten wir viele sehr erfolgreiche Ausstellungen mit guten Buchverkäufen. Als Tomi Ungerers »Liederbuch« erschien und Schaller die Originale ausstellte, verkauften wir 800 Exemplare. Leider hat die Insolvenz von Schaller die Gemeinschaft beendet.

9. Gibt es ein Buch, eine Grafik oder eine Handschrift, die du schon immer haben wolltest, aber niemals bekommen hast?
Ein Exemplar von Eduard Mörikes »Stuttgarter Hutzelmännlein« mit einer Widmung Mörikes wollte ich immer haben. Bisher ist es mir nicht gelungen, eines zu erwerben. Aber wer weiß, irgendwann kommt bestimmt eine Gelegenheit.

10. In Stuttgart gab es schon immer eine ganze Reihe bekannter Antiquariate. Wie war und ist der Austausch untereinander?
Als ich Schüler war, gab es in Stuttgart 32 Antiquariate. Es gab nicht so viele Kontakte.

11. Warum? Es waren doch die Stuttgarter Antiquare, die die Antiquariatsmesse ins Leben riefen. Kannst du dich daran erinnern?
Damals gab es zwei Kasten: einerseits die Ladenantiquariate, so wie wir oder Müller & Gräff und die Buchhandlung Engel, andererseits die Antiquare wie Fritz Eggert, Fritz Neidhardt oder Dr. Frieder Kocher-Benzing, die mit Katalogen und Angeboten arbeiteten und 1962 die Stuttgarter Messe begründeten. Mit der Zeit wurden die Kontakte enger und freundschaftlicher, vor allem auch zwischen den Steinkopfs und Fritz Eggert. Heute ist von dieser Trennung nichts mehr zu spüren, und wir alle helfen uns gegenseitig gerne aus.

12. Wann war deine erste Antiquariatsmesse?
Steinkopf nahm 1964, also an der dritten Messe, zum ersten Mal teil. Fritz Eggert kam damals zu meinem Vater und fragte ihn, ob wir mitmachen wollten. Das Gustav-Siegle-Haus, wo die ersten Messen stattfanden, war in jenen Jahren noch längst nicht ausgebucht. Jeder Aussteller wurde gebraucht. Die Zeit des Umzugs wegen Überfüllung in den Württembergischen Kunstverein und die Zeit der Wartelisten, die kam erst später. Ich persönlich habe meine erste Messe 1977 erlebt. Unser Antiquar erkrankte plötzlich schwer, da durfte ich einspringen.

13. Du bist über Jahrzehnte Aussteller in Stuttgart gewesen und setzt dich bis heute für die Messe ein. Warum ist dir der Messestandort Stuttgart so wichtig?
Ich bin mit der Messe aufgewachsen. Zudem war ich zwölf Jahre im Messeausschuss. Die Arbeit im Ausschuss war mir von allen Ehrenämtern die Wichtigste. Zusammen mit meinen Mitstreitern um Roger Klittich konnten wir viel für die Messe bewegen.

14. Was habt ihr bewegt und was hättet ihr gerne bewegt?
Wir taten unsere Arbeit unter dem Schutz des Vorstands. Am besten war die Zusammenarbeit in den Jahren, als Godebert M. Reiß Vorsitzender des VDA war. Da es noch keine Geschäftsstelle gab, hatte der Messeausschuss viel zu tun. Es fing bei der Auswahl und Zulassung der Aussteller an (die Wartelisten habe ich ja schon erwähnt) und ging über den Standbau, die Pressearbeit bis zum ganz konkreten Ablauf der Messe. Wenn man nicht selbst einmal an der Organisation der Messe oder im Vorstand mitgearbeitet hat, weiß man nicht, wie viel Arbeit darin steckt. Und was haben wir bewegt? Zunächst einmal haben wir ein paar alte Zöpfe abgeschnitten, zum Beispiel die Mittagspause der Messe von 13 bis 15 Uhr. Das passte den Gründungsvätern der Messe gar nicht, denn sie waren gewohnt, in der Mittagszeit mit ihren Kunden essen zu gehen. Es gab Proteste »alt gegen jung«, aber wir haben uns durchgesetzt. Heute wäre es unvorstellbar, die Messe in der Mittagszeit zu schließen, nur um in Ruhe etwas zu essen und ein Viertele Trollinger zu trinken.

15. Wie ist es, den nachfolgenden Generationen bei der Arbeit für den Verband und die Antiquariatsmesse zuzuschauen?
Vieles sehe ich mit Wehmut, aber es ist nicht zu ändern. Ich bin schon froh, dass ich nicht zwanzig Jahre jünger bin.

16. Was genau siehst du mit Wehmut?
Es ist die Wehmut des alten Mannes. Die Entwicklung der Antiquariatsmessen und generell des Handels ist ja nicht rosig.

17. Zum 80. Geburtstag dürfen wir uns die Frage erlauben: Geht ein Antiquar jemals in den Ruhestand, oder ist es eine Berufung fürs Leben?
In der dänischen Verwandtschaft meiner Frau wird immer wieder gefragt, wie lang denn der Frieder noch schaffen müsse. Bente entgegnet darauf, hoffentlich noch lange. Das sehe ich auch so.

18. Was fasziniert den Antiquar nach so vielen Berufsjahren am meisten? Ist es immer noch die Jagd nach dem besonderen Buch, oder sind es die besonderen Beziehungen, die man zu seinen Kunden pflegt?
Alles zusammen! Es sind ja auch gute Freundschaften aus der Kundenbeziehung entstanden. Die tägliche Herausforderung, sich neues Wissen anzueignen, hält jung.

19. Was würdest du heute anders machen, wenn du noch einmal am Anfang deiner Karriere stündest und morgen in die Fußstapfen deiner Vorgänger im Antiquariat Steinkopf treten müsstest?
Gerne wäre ich länger außerhalb des Familienbetriebs geblieben, um meine Fehler auf Kosten anderer Arbeitgeber machen zu können.

20. Was tust du, wenn du nicht ans Antiquariat denkst?
Viel schlafen, kochen, essen, an die Enkel denken und Canasta spielen.


ZUR PERSON
Geboren am 13.6.1944 im Pfarrhaus Amstetten/Steige; 1964–66 Buchhändlerlehre bei Albert in Freiburg einschließlich Frankfurter Buchhändlerschule; danach Wanderjahre in Stuttgart, Gießen und Zürich. Seit 1969 bei Steinkopf; 8 Jahre im Vorstand des Landesverbandes der Verlage und Buchhandlungen in Baden-Württemberg, davon 4 Jahre Zweiter Vorsitzender unter Max Bez; 12 Jahre zusammen mit Roger Klittich Messeausschuss der Stuttgarter Messe.

 

 

 

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