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27. August 2022

Von Antiquaren und Sammlern

... Markus Brandis

Hinter jedem Antiquariat steht ein kluger Kopf. Antiquarinnen und Antiquare versinken in Büchergebirgen und Graphikmappen, verbergen sich hinter Computerbildschirmen, Antiquariatskatalogen, Angebotslisten, Websites und Onlineshops. Man trifft sie auf Antiquariatsmessen und in ihren schönen Ladenlokalen, manchmal sogar in Krimiserien. Barbara van Benthem und Sibylle Wieduwilt haben sich auf die Reise begeben und die Kollegen des Verbandes Deutscher Antiquare für eine Reihe von Interviews besucht und mit ihnen gesprochen. Sie haben viel zu erzählen. Heute sind wir beim Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Antiquare – Dr. Markus Brandis. In der Reihe der Vorstandsmitglieder hat der Chef natürlich das letzte Wort.


Woran arbeitet der Vorstand gerade?
An einem großartigen neuen Projekt, dem »Schaufenster«. Das ist eine exklusive Online-Plattform für alle unsere Mitglieder des VDA, auf der jede Antiquarin und jeder Antiquar mehrere ausgewählte Titel mit Bildern und Text vorstellen und bewerben kann, die man dann direkt bei ihm bestellt. Ihm entstehen dabei keine Gebühren und bei jedem Verkauf kann sofort ein weiterer Titel eingestellt werden. So lohnt es sich auch hier, immer wieder auf die Webseiten des Verbandes Deutscher Antiquare zu schauen. Darüber hinaus beschäftigen mich momentan zahlreiche juristische Themen, bei denen der Vorstand seine Mitglieder gegenüber Dritten vertritt.

Was sind die wichtigsten Aufgaben des Verbandes?
Hierin sehe ich auch eine der wichtigsten Aufgaben des Verbandes Deutscher Antiquare. Seit Gründung der Bundesrepublik, seit Zusammenschluss der europäischen Staaten regeln mehr und mehr Gesetze unser Zusammenleben und auch den Handel im Binnenland, in Europa und weltweit. Zollformalitäten, Versandauflagen, Besteuerungen, Pflichten zu Provenienzforschung, Restriktionen durch Kulturgutschutz und Materialverbote (wie Elfenbein) zwingen dem Händler immer mehr proaktive Maßnahmen auf, bevor er ein einziges Objekt verkaufen kann. Dabei wird die Gratwanderung der Möglichkeiten, gesetzeskonform zu handeln immer schmaler, die Gefahr, unbewusst Fehler zu machen, wächst. Hier gilt es, die Händler mit Handreichungen und Erklärungen zu informieren und zu unterstützen – und gleichzeitig Lobbyarbeit gegenüber dem Gesetzgeber zu betreiben, um zu verhindern, dass sich Gesetzesvorlagen widersprechen oder ein Handeln grundsätzlich unmöglich wird. Von dieser Arbeit profitieren die Mitglieder des Verbandes ganz konkret, ebenso wie alle Antiquarinnen und Antiquare in Deutschland.
Die wichtigste Organisationsaufgabe des Verbandes ist freilich die Durchführung einer erfolgreichen Verbandsmesse, der Antiquariatsmesse Stuttgart, die nunmehr seit zwei Jahren 2023 erstmals wieder real stattfinden soll – und zwar als 60. Jubiläumsmesse. Doch der Verband hat auch die bedeutende Aufgabe, das Antiquariat weiter ins 21. Jahrhundert zu führen. Dazu ist die Förderung des Nachwuchses von großer Relevanz. Wie viele Händler kenne ich, die in der Generation meiner Eltern gerne einen Nachfolger aufbauen würden und keinen Interessenten finden?! Zu vermitteln, dass die Arbeit des Antiquars nach wie vor sinnstiftend und eine gewinnbringende Berufsperspektive ist, dass Expertentum des Spezialisten für alte Bücher dringend gebraucht wird und die tägliche Arbeit mit den seltenen Werken über die Maßen erfüllend ist, sehe ich als eine der wichtigsten Aufgaben meiner Präsidentschaft. Die eigene Begeisterung für das Fach auf immer mehr interessierte Jugendliche zu übertragen – dabei sollten alle Mitglieder des Verbandes mitwirken.

Warum engagierst Du Dich für den VDA?
Weil ich leidenschaftlicher Antiquar bin und überzeugt, dass auch unser Fach eine Vertretung braucht, die für sein Fortleben kämpft. Zusammen mit meinen Vorstandskolleginnen und Kollegen, Meinhard Knigge, Christian Strobel, Elvira Tasbach und Dieter Zipprich bilden wir ein besonders dynamisches, höchst effektives Team, das mit viel Elan und Spaß die Zukunft des Antiquariats angeht. Dazu kommt der Geschäftsstellenleiter Norbert Munsch, der alles ebenso kreativ begleitet und hervorragende Organisationsarbeit betreibt. Allen meinen Verbandskollegen kann ich nur raten, sich ebenfalls zu engagieren – und allen honorigen Antiquaren, sich für den Verband zu bewerben. Nur zusammen können wir die Zukunft gestalten.

Was ist das Positive und was das Negative an der ehrenamtlichen Arbeit für den Verband?
Natürlich kostet die Verbandsarbeit Zeit, manchmal extrem viel davon. Und das ist nicht immer einfach, denn das eigene Geschäft muss ja auch weiterlaufen. Aber die Erfolge, etwas für unseren großartigen Beruf erreicht, gemeinsam etwas auf die Beine gestellt zu haben, endlich doch etwas gegenüber dem immer enger werdenden Netz von Gesetzen und Restriktionen durchgesetzt zu haben, entschädigt für die Mühe. Und was gibt es Schöneres, als wenn eine erfolgreiche Messe für alle Mitglieder organisiert wird, die allen nicht nur Umsätze beschert, sondern zeigt, da gibt es einen Beruf, der wie kaum ein anderer, Expertentum mit Leidenschaft verbindet.

Nach über 2 Jahren Zwangspause startet die Antiquariatsmesse im Juni nächsten Jahres neu. Wie stellst Du Dir den Neubeginn vor?
Fulminant, wie denn sonst?! Ich bin überzeugt, dass wir Mitglieder des Verbandes Deutscher Antiquare alle zusammen anpacken werden, um eine wunderbare, interessante und erfolgreiche Antiquariatsmesse Stuttgart im Sommer 2023 zu haben. Mit dem eleganten Forum in Stuttgarts Nachbarstadt haben wir einen überaus geeigneten Ort gefunden, an dem sich die Antiquare mit Ihrem Angebot in unmittelbarer Nähe unserer gewohnten Wirkungsstätte, entfalten können. Mit 88% der Mitgliederstimmen gab es so ein klares, begeisterndes Votum für einen Neubeginn, dass wir uns sicherlich alle freuen können. Aber keine Sorge, die 60. Antiquariatsmesse Stuttgart wird nicht mit der Tradition brechen. Wir haben – nach endlos scheinender Durststrecke – »post coronam« sicherlich alle wieder Lust, uns zu sehen, uns auszutauschen, zu handeln, Neues kennenzulernen und den ein oder anderen Café, das ein oder andere gute Glas Wein miteinander zu trinken.

Gibt es Unterschiede zwischen Antiquaren und Auktionatoren?
Natürlich unterscheidet sich die Arbeit in einigen Aspekten. Der Auktionator handelt als Kommissionär, der Antiquar vornehmlich auf eigenes Risiko. Während letzterer sich seine Zeit einteilen kann, muss der Auktionator in limitierter Zeit feste Auktionstermine einhalten: Nach der Auktion ist vor der Auktion. Derjenige Auktionator, der in seinem Alltag auch noch Antiquar bleiben kann, ist aber sicherlich der glücklichste. Trotz aller meiner alten und neuen Verpflichtungen, habe ich es mir immer vorbehalten, einen großen Teil der mir anvertrauten Bücher, Graphiken, Handschriften und Autographen für jede der halbjährlichen Auktionen selbst zu bearbeiten. Dies ist die Essenz meiner Arbeit, meines Daseins – und das möchte ich nicht missen, kostet es mich dafür auch zahlreiche Stunden am Abend, in der Nacht oder am Wochenende. Vielleicht gibt es Auktionatoren, die ihre Aufgabe vor allem in der Verwaltung der Ware sehen. Das werde ich niemals können: ich bin und bleibe erst einmal Antiquar!

Welches Buch sollte ein Antiquar unbedingt lesen bzw. gelesen haben?
Jedes Buch, das er in seinem Laden anbietet, vor allem auch die lateinischen und griechischen – und ganz besonders natürlich die portugiesischen Titel. Nein, Spaß beiseite, das wird er nie schaffen! Dennoch sollte ein guter Antiquar alle Bücher, die er in seinem Laden hat, ein bisschen kennen – und diejenigen, die er für die Kataloge und Online-Plattformen beschreibt noch ein bisschen besser. Das ist die größte Herausforderung, aber auch das Erfüllende am Beruf: Dem Antiquar gehört jedes Buch, mit dem er handelt, für eine gewisse Zeit. Er hat die Chance, sich an ihm zu freuen, es zu bearbeiten, es zu bewerben und seinen Kunden schließlich von ihm zu überzeugen. Je mehr Begeisterung er selbst mitbringt, desto mehr wird er den potenziellen Käufer mitreißen. Das kann in einem Gespräch im Laden geschehen, aber auch bei einer Katalogbeschreibung. Der Kunde wird diese Liebe immer honorieren und »mitkaufen«!

Was tust Du, wenn kein Buch in der Nähe ist?
Gab es das jemals in meinem Leben? Da kann ich mich wirklich nicht erinnern. Schon auf meinen Interrail-Touren quer durch Europa, war die Hälfte meines Rucksacks (und sicherlich 2/3 seines Gewichts!) für Bücher reserviert. In meiner Wohnung gibt es keinen Ort ohne ein Buch, im Büro sowieso. Sollte es mich aber vielleicht doch irgendwann einmal à la Robinson auf ein einsames Eiland verschlagen, wo es wirklich kein einziges Buch gibt – dann werde ich eines schreiben.

 

ZUR PERSON
1987 Beginn der Ausbildung zum Antiquar in Bonn (Konrad Meuschel), Stuttgart (Jürgen Voerster), München (Hartung & Hartung) und New York (H.P. Kraus). Studium der Kunstgeschichte, Mittelalterlichen und Neueren Geschichte, Byzantinistik in München (Ludwig-Maximilians-Universität) und Rom (Università La Sapienza und Bibliotheca Hertziana), Abschluss mit Promotion. Danach tätig in der Galerie Française in München und im Auktionshaus Zisska & Kistner, Gründung des Antiquariats Abaton in München (Publikation von über 20 Katalogen), ab 2006 Leiter der Buchabteilung im Auktionshaus Galerie Bassenge, dann Teilhaber und ab 2022 vereidigter Auktionator. Mitglied im VdA seit 2011, im Vorstand seit 2020 und Vorsitzender seit 2022.

Dr. Markus Brandis
Bassenge Buchauktionen GbR

Erdener Str. 5A
14193 Berlin
→ www.bassenge.com
→ books[at]bassenge[dot]com

 

 

Verband Deutscher Antiquare e.V.

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