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19. August 2021

Wolfgang Schönemann (1949–2021) – ein Nachruf von Wolfgang Braecklein

Wolfgang Schönemann ist tot. Im März 1949 in Berlin geboren ist er im Juli 2021 nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben.
Er war Antiquar. Aber da er für sich selbst lebte und arbeitete, das Leben als einen großen Abenteuerspielplatz ansah, bestand der Sinn seines Tuns hauptsächlich darin, die Sinnlichkeit und Vielfalt unserer Kultur zu erleben, um sich zu versammeln und zu genießen. Seine Räume sahen aus wie eine barocke Wunderkammer. Bücher, Bücher, Bücher, Statuen, Bronzen, Bilder, Emailleschilder, Möbel, Zinn, Porzellan, Gebrauchsgegenstände vergangener Zeiten und sonstige Trouvaillen. »Beifang« nannte er das. Und alles, alles ist wichtig zu sehen und zu begreifen, damit kein Bild in der Seele fehle. Er hatte Leberkrebs, nicht mehr im Frühstadium – er ist ja nie zum Arzt gegangen. Er hat eine längere Chemo erduldet und ist vor einigen Wochen mit dem Fahrrad gestürzt. Oberschenkelhalsbruch. Er wehrte alle Fragen ab: »Lasst mich in Ruhe«.
Schließlich bekam er in der Reha starke Schmerzen, und die Palliativmedizin schien nicht die wacheste zu sein. Jedenfalls wünschte er sich, endlich sterben zu dürfen und dann hat es noch eine ganze Woche gedauert.
Ja, lieber Namensvetter, nun haben wir auch das erleben müssen! Seit fast 50 Jahren haben wir uns begleitet. Wir waren Arbeitskollegen bei Bassenge, dann Freunde. Du hast mich beim Antrag auf meinen Existenzgründungskredit »händchenhaltend« begleitet. Unsere Beziehung, auch zu Gesche, unserer Arbeitskollegin bei Bassenge und später Ehefrau, wie auch nach deren Tod zu Deiner ersten und dann wieder letzten Liebe Elisabeth, war geprägt von Nähe, aber auch von Distanz – wenn ihr Euch mal wieder einen entfernteren Wohnort ausgeguckt hattet.
Wo hattest Du nicht überall gewohnt! Ich habe selbst Deine Wohnung in Friedenau erlebt, bei uns »um die Ecke«, dann, als Du Dich 1985 selbständig machtest und schöne Kataloge publiziertest, bezogst Du das wunderbare Reihenhaus in der Bruno-Taut-Siedlung in Grunewald. Bauhaus, Schwedenkamin und über den Garten zog die kühle, feuchte Herbstluft ins Haus. Bald, 1989, zog es Dich nach Bayern, um in Rotthalmünster bei einem namhaften Antiquar tätig zu sein und schließlich 1991, wieder als Selbständiger, quer durch die Republik nach Schwerin, um dort den Volksbuchhandel zu übernehmen. Ich habe Deine Domizile in Zittow, Retgendorf und Schwerin kennen gelernt und schließlich das schöne, historistisch gestaltete Haus in Grabow bewundert. Und immer zogen Deine Druckerutensilien mit, auch die schwere »Nudel«, mit der wir – gehüllt in zünftige Lederschürzen – in Berlin so manchen Unsinn veranstalteten, bis hin zu Neudrucken von alten Holzstöcken.
Über Deine Kindheit in Spandau ist hier nichts Schönes zu berichten. Erst jetzt habe ich erfahren, dass Deine Mutter unzuverlässig war, Du als Zweitklässler alleine durch den Wald zur Schule tippeln musstest, viel auf Dich selbst gestellt warst und Deine Zahnbürsten selber kaufen musstest. Folgerichtig bist Du mit der Mittleren Reife in der Tasche weggelaufen, wolltest Ingenieur werden, versuchtest Dich als Elektrikerlehring. Doch als Wachmann bei den Amerikanern erwachte mit dem Lesen zu nächtlicher Stunde die Leidenschaft, die Dein weiteres Leben nachhaltig prägte. Und in der Wohngemeinschaft mit einem jungen Druckergesellen begann auch die oben angesprochene Leidenschaft zur Schwarzen Kunst. Die mehrjährige Ausbildung bei Rothacker zum Antiquariatsbuchhändler mündete dann in einen unangemeldeten Besuch von Til Bassenge, der Dich als Mitarbeiter anwarb.
Über die Veränderungen nach langer Tätigkeit im Auktionshaus habe ich berichtet. Was noch bleibt, sind viele persönliche Erinnerungen an Deine ostelbische Direktheit, gewürzt mit einem Schuss angelsächsischen Humors. So hatten wir uns beide 1986 in Heidelberg verabredet, um Thomas Hatry bei Eröffnung seines Antiquariats auch praktisch zur Seite zu stehen. Ich habe meine damals 12-jährige Tochter mitgenommen, die dann nicht nur Heide Hatry beim Stullenschmieren helfen konnte, Thomas‘ und Heides Frischling im Kinderwagen um den Block kutschierte und schließlich beim Kollegen Rolf Schwing Dürers »Passion« betrachten konnte und tief beeindruckt von den erläuternden Kommentaren sowie seiner epikuräischen Lebenshaltung war. Wolfgang Schönemann, kinderlos, als er uns beide ins Hotel kommen sah: »Was soll denn das? Ich bringe doch auch nicht meinen Hund mit« und wir lachten alle herzlich. Und ein älterer Frankfurter Kollege, der zufällig aus anderem Anlass auch dort war, gab mit seiner Bemerkung über meine Tochter: »Sie haben aber eine nette Freundin« Anlass zu einigen bissigen Kommentaren. Das waren Zeiten – schocking! Das »Hund-Zitat« war übrigens der Beginn einer Verbindung, die auch dazu führte, dass die Tochter Urlaubsvertretung im Schweriner Antiquariat machte und wiederum in Wolfgangs Welt eintauchen konnte.
Eine kleine Episode zum Schluss: Als wir nach der Übernahme des Volksbuchhandels Wolfgang Schönemanns Erfolg in der urigen Kneipe unter dem Schweriner Dom in kleinstem Kreis feierten und er seelig den Briefwechsel präsentierte, stellten wir fest, dass alle Briefe an die Treuhand an die Stadt »Schwein« (statt Schwerin) adressiert waren – er hatte die Adresse einfach immer wieder, genial wie er war, aus seiner fehlerhaften Datei kopiert.
Vor Jahren hatte mir Wolfgang ein Gruppenbild von der Kölner Antiquariatsmesse 1987 geschickt, mit seinem Vermerk »Aus dem Reich der Toten«. (Wolfgang Schönemann, Harry Kreuschner, Harald Wiermann und Walter Alicke, v.l.n.r.). Er bezeichnete sich damals als Überlebenden. Nun ist das leider auch Geschichte. Es stimmt schon: Wer sehen will, muss sich beeilen – alles verschwindet. Und so rufe ich Dir zu: Tschüss Wolfgang, bis bald!

Wolfgang Braecklein

 

 

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