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2. Dezember 2021

Mit Schulwandbildern Erinnerungen wecken
Ein Bericht von Dr. Markus Brandis über das soziale Engagement der Antiquarin Regina Kurz 

Wie wirkt ein Buch? Wie eine Farbtafel? Wie ein Text, ein Gedicht oder ein Märchen? Fragen, die sich Antiquare vor allem in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit stellen, an die sich unmittelbar die entscheidende Frage anschließt: »Wer zahlt mir was dafür?«. Eine ganz andere Dimension ihres Antiquariats im malerischen Oberaudorf mit grandiosem Alpenblick öffnet sich Regina Kurz bei ihren wöchentlichen Besuchen im Caritas Altenheim St. Peter in Mühlbach bei Kiefersfelden, die schon zu einer festen Institution im Programm wurden und auf die sie sich alle freuen: die Pflegerinnen und Pfleger, die Vortragende und vor allem die Seniorinnen und Senioren, die oft schon Minuten vorher ihren Platz eingenommen haben und in freudiger Erwartung des Vortrags harren.

Anhand von historischen Schultafeln – großformatige Kartons mit Chromolithographien in leuchtenden, schimmernden Farben – präsentiert Regina Kurz jedes Mal ein anderes Thema: »Schule«, »Pilze«, »Post«, »Hund und Katze«, »Mode«, »Mahlzeit – Geschichten rund ums Essen«, »Teich – Leben am Teich«. Dazu finden sich gewöhnlich 10–25 Leute ein, Senioren mit körperlichen oder kognitiven Behinderungen, mit Gehhilfen und in Begleitung der Pfleger. Sie bestaunen die Tafeln, die Frau Kurz ihnen immer wieder auch einzeln vorhält, indem sie die abgebildeten Dinge erklärt. Zusätzlich verteilt sie Farbausdrucke mit jeweils 6–7 Motiven, die sie sorgsam laminiert hat und austeilt: »Jeder bekommt ein Bild in die Hände, dann werden die Senioren ruhiger – und ich bekomme mit, was sie anspricht, was sie interessiert«. Zu jedem Treffen bringt sie drei Bücher mit, die ihre Zuhörer auch in die Hände bekommen, das Leder oder die Prägung des Einbandes streicheln können und sichtbar Wohlgefallen an diesem haptischen Erlebnis haben. 

»40–45 Minuten ist das Maximum an möglicher Konzentrationszeit«, stellt Frau Kurz fest. Letztens war das Thema »Apfel« dran, es weckte Erinnerungen an die Kindheit, an die Jugend. Dazu trug Regina Kurz das Weihnachtsgedicht »Der Bratapfel« vor. »Das haben wir im Backofen gemacht!« meldet sich eine Seniorin. Überhaupt freut sich Regina Kurz über jede Reaktion. »Ringelnatzgedichte mögen sie immer, auch Wilhelm Busch weckt schnell Erinnerungen – da werden die Verse dann auswendig weiteraufgesagt«. Liebesgedichte erfreuen sich ebenfalls großer Beliebtheit, »gerne etwas Melancholisches, aber bloß nichts Gruseliges«.

Weltkrieg, Flucht, Vertreibung, Hunger, Angst, das sind alles keine Themen für die lehrreiche Unterhaltung. Aber unterschwellig schwingt es mit, es ist ja die Generation, die den Krieg noch miterlebt hat. Bei Thema »Schule« erzählt eine Seniorin aus Berlin, dass es irgendwann keine Schule mehr gab, sie war ausgebombt. Beim Thema »Apfel« erinnert sich ein Herr, dass sie aus dem Pfarrersgarten Äpfel vom Baum geklaut haben. Kein Streich von Jungs, sondern eine Notwendigkeit, um als Flüchtlinge zu überleben. Meistens bleibt es aber heiter. 

Einmal ging es um das Thema »Mittelalter«, um Burgen, Ritter und hübsche Burgfräulein. Dazu liest Frau Kurz dann Märchen vor »gnadenlos gekürzt, das darf nicht länger als 5 Minuten dauern, eine DIN A4 Seite langt!«. 

 »Es ist so wunderbar, anderen etwas zu geben. So komme auch ich in eine Welt hinein, die mir im Täglichen meist doch recht fern ist. Und ich erfahre den Wert der Bücher wieder aus einer ganz anderen Perspektive«. Einige Senioren schlafen zwischendurch auch mal ein, doch am Ende wird immer wieder auch geklatscht und Frau Kurz geht mit den dankbaren Augen ihres Publikums nach Hause, um das Thema für die nächste Woche vorzubereiten.

 

Bildmaterial: Regina Kurz, Antiquariat Rainer Kurz, Oberaudorf 

 

 

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