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Die Bibliothek als Schatzkammer aller Reichtümer des menschlichen Geistes
48. Seminar für Antiquare vom 13.–16.9.2018 in Hannover, Bargfeld und Celle

Wer dabei war, wird es bestätigen: »Flachland und Nachschlagewerke« haben durchaus ihren Reiz und der Arno Schmidt entlehnte Titel des diesjährigen Seminars wies eher auf norddeutsches Understatement hin denn auf Ödnis und Fleiß …
Denkbar unterschiedliche Bibliotheken und Archive, Museen und Antiquariate, Schriftsteller und Künstler gab es zu sehen und erleben – der Seminarausschuss hatte wieder ein interessantes und üppig bestücktes Programm zusammengestellt. Für Regina Kurz und Eberhard Köstler war es der Abschied aus der aktiven, verantwortungsvollen Arbeit, für Hermann Wiedenroth ein genussvolles Heimspiel; mit ihm zusammen werden Alexis Cassel und Markus Brandis ein kreatives Team für die künftige Planung und Organisation abgeben.

Die Stadtbibliothek Hannover und der Heidedichter Hermann Löns

Auftakt für das Seminar war am Donnerstagmittag der Besuch der Stadtbibliothek Hannover, genauer: der Zentralbibliothek mit der Musikbibliothek und 16 Stadtteilbibliotheken, die von ihrer Direktorin Dr. Carola Schelle-Wolf in ihrer Funktion als öffentliche Benutzungseinrichtung vorgestellt wurde. Über eine Million Medien aus allen Fachgebieten stehen bereit – dass man sich von gedruckten Lexika getrennt hat, ist für uns 25 Büchermenschen freilich schwer zu verstehen, aber Platzmangel ist in dem 1931 errichteten Backsteingebäude mit dem charakteristischen Magazinturm ein Dauerthema, trotz dreier Erweiterungsbauten, zuletzt 2003.
Einen Eindruck von dem ehrwürdigen Alter der Hannoverschen Stadtbibliothek – 2015 wurde ihr 575-jähriges Bestehen gefeiert – erhält man nur noch beim Betrachten der Ratsbibliothek in ihrem gläsernen Gehäuse, hier ruhen die Schätze, für die regelmäßig aufgeschlossen wird: Einmal im Monat wird der Öffentlichkeit ein besonderes Buch vorgestellt. Umgeben ist dieser älteste Bestandteil mit seinen Wurzeln bis ins 15. Jahrhundert von aktuellen CDs und einer langen Wandvitrine für Ausstellungen. Derzeit wird des Hannoverschen Dichters Gerrit Engelke zum 100. Todestag gedacht. Kuratiert hat sie Detlef Kasten, Mitarbeiter für Musik und Sondersammlungen Archiv (einen Sammelauftrag besitzt die Stadtbibliothek lediglich für die Bereiche Hannover und Niedersachsen), der den Heidedichter Hermann Löns »im Faktencheck« gewissermaßen hart, aber fair als eine äußerst zwiespältige Persönlichkeit vorstellte: den Schneckenforscher und Jäger, den Journalisten und Alkoholiker so ehrgeizig wie unzuverlässig, beliebt und erfolgreich als Kolumnist (Fritz von der Leine), Entdecker der Lüneburger Heide und Prophet des gesunden Landlebens, was sich bei Löns mit rassistischem Gedankengut mischte. Er meldete sich zu Beginn des Ersten Weltkriegs als Freiwilliger und starb schon im September 1914 an der Marne. Dass sein Name zumindest in Norddeutschland bis heute präsent ist, überrascht nicht wenig – allerdings kann eine Tour auf einem Löns-Wanderweg durchaus erfreuen, wie die Berichterstatterin im Anschluss an das Seminar an der Mittelweser erfahren durfte …
Eine kritische Ausgabe des verstreut, in immer neuen Kombinationen und Fassungen publizierten Werks von Löns aus Gedichten, Romane, Erzählungen, Naturschilderungen, Tierbüchern etc. hat niemand unternommen, wohl aber gibt es analytische und kritische Würdigungen in Dissertation und Biografie von Thomas Dupke und Heinrich Thies.

Merz ist nicht Dada. Merz ist das Lächeln am Grabe …

Hingegen Kurt Schwitters! Die exzellente Kennerin seines Werkes Maria Haldenwanger präsentierte seine Merzhefte, diese ab 1923 erschienene Publikationsreihe mit originalsprachigen Beiträgen, unterschiedlichen Formaten und Typographie (unter anderen von El Lissitzky und Jan Tschichold). Sie beschäftigen sich mit Pelikan-Produkten der Firma Wagner ebenso wie mit Dada in Holland, enthalten »Das Märchen vom Paradies« oder den »Hahnepeter« von Käte Steinitz und Schwitters, sind teilweise nur angekündigt, aber nie erschienen wie die Schallplatte mit der »Ursonate«. Eine bunte dadaistische, besser merzische Geschichte wurde vor unseren Ohren und Augen ausgebreitet, mit allen Höhen und Tiefen, die Kurt Schwitters mit seiner angriffigen und angegriffenen Kunst und den nie leicht zu finanzierenden Merzheften erleben musste – bis hin zu seiner Emigration nach Norwegen und der späteren Flucht nach England. So kann man es als ein großes Glück betrachten, dass der Nachlass nun in Hannover liegt, teils »als kleiner Schatz« im Schwitters Archiv der Stadtbibliothek, teils in der Stiftung im Sprengel Museum.

Zuletzt las Maria Haldenwanger das Hannover-Gedicht von Schwitters, das zum vergnüglichen Nachlesen hier wiedergegeben sei:
»Die Hannoveraner sind die Bewohner einer Stadt, einer Großstadt. Hundekrankheiten bekommt der Hannoveraner nie. Hannovers Rathaus gehört den Hannoveranern, und das ist doch wohl eine berechtigte Forderung. Der Unterschied zwischen Hannover und Anna Blume ist der, daß man Anna von hinten und von vorn lesen kann, Hannover dagegen am besten nur von vorne. Liest man aber Hannover von hinten, so ergibt sich die Zusammenstellung dreier Worte: ›re von nah‹. Das Wort ›re‹ kann man verschieden übersetzen: ›rückwärts‹ oder ›zurück‹. Ich schlage die Übersetzung ›rückwärts‹ vor. Dann ergibt sich also als Übersetzung des Wortes Hannover von hinten: ›Rückwärts von nah‹. Und das stimmt insofern, als dann die Übersetzung des Wortes Hannover von vorn lauten würde: ›Vorwärts nach weit‹. Das heißt also: Hannover strebt vorwärts, und zwar ins Unermeßliche. Anna Blume hingegen ist von hinten wie von vorne: A-N-N-A.
(Hunde bitte an die Leine zu führen.)«
 

Rundgänge durch Wissenswelten

»Eine Bibliothek ist die Schatzkammer aller Reichtümer des menschlichen Geistes«, formulierte Gottfried Wilhelm Leibniz, der 40 Jahre lang, von 1676 bis zu seinem Tod, das Amt des Hofbibliothekars versah, nachdem die Büchersammlungen der welfischen Fürsten ein Jahrzehnt zuvor mit der Verlegung der herzoglichen Residenz von Celle nach Hannover gekommen waren. Einer seiner bedeutenden Nachfolger war der Literat Werner Kraft, der nach nur fünf Jahren 1933 als Jude aus dem Dienst entlassen wurde und emigrieren musste. Nach dem Zweiten Weltkrieg und einer Hochwasserkatastrophe 1946 begann die Geschichte der dann Niedersächsischen Landesbibliothek; 1976 erfolgte der Umzug in den gläsernen Neubau an der Waterloostraße, 2005 die Umbenennung in Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB). Heute versteht sie sich – so die stellvertretende Leiterin Dr. Anne-Katrin Henkel – als eine Bibliothek für Stadt, Land und Universität, damit auch als ein kultureller Raum und Ort des Austausches. Dem entspricht die großzügige, helle, transparente Architektur mit einem Veranstaltungsraum rechts und einer Freihandaufstellung links vom Eingangsfoyer.
Eine immer mal wieder aktualisierte Dauerausstellung »Wissenswelten – Bibliothek als Enzyklopädie« präsentiert besondere Besitztümer wie den Goldenen Brief des birmanischen Königs Alaungphaya und Autographen aus dem Leibnizschen Nachlass sowie das einzig erhaltene Exemplar seiner »Vier-Spezies-Rechenmaschine« und das Modell einer horizontal laufenden Windmühle, Pergamenthandschriften aus Nonnenklöstern der Lüneburger Heide, aber auch ein Raubdruck der Diderot-D’Alembertschen Enzyklopädie und zum Vergleich daneben ein Wikipedia-befüllter Stick. Wie sich Wissen und unser Umgang damit verändert, wie seine Träger einst und jetzt katalogisiert und verwaltet werden, ließ sich bei den Führungen anschaulich erfahren – ebenfalls die Existenz von »Fake News« von mittelalterlichen Fälschungen über Tarnschriften bis zur BILD-Zeitung.
Eindrücklich war allen die Haptothek, in der Ketten- und Beutelbücher, unterschiedliche Druck- und Einbandmaterialien, Schließen angefasst und Bücher »aufgeschlagen« werden dürfen, dazu finden sich Informationen zu allen Techniken rund ums Buch, besonders auch für Kinder. Eine solche Haptothek sollte an vielen Orten sicht- und fühlbar sein!
Matthias Wehry, der uns kundig und anschaulich geführt hatte, stellte zusammen mit Björn Schreier eine Reihe aktueller, interessanter, mit Geschichten befrachteter Exponate vor wie etwa Adressbücher seit 1790, ein aufgerolltes, langes Panorama mit der Darstellung der Krönung von Georg IV. und die »Esther-Rolle« mit deutschem Text und reichen Illustrationen, eine Streckenkarte, die vermutlich der Vorbereitung einer Reise Georgs III. diente, oder eine Karte der Sturmflut von 1610.

Wurstbuch und Mäusefraß und ein gigantisches Puzzle

Nach der Brotzeit ging es ins Untergeschoss in die Restaurierungswerkstatt, wo Meike Fricke ihr Nähkästchen öffnete und den Arbeitsalltag vorführte: Das Anfasern und die Existenz von Knotenregister lernten wir kennen, sahen das tatsächliche Vorkommen von Salamischeiben als Lesezeichen und ein von einem Hund völlig zerbissenes Buch, was wohl keine Maus jemals schafft, und bewunderten das für die sofortige Sicherung eines fragilen Buches gebaute Futteral. Mit praktischen Tipps versehen und großer Zuversicht in vielfältige Rettungsmöglichkeiten stiegen wir wieder ans Tageslicht. Um dann von Dr. Siegmund Probst in das Leibniz-Puzzle-Projekt eingeführt zu werden, das nichts weniger ist als die digitale Rekonstruktion eines gigantischen Zettelkastens respektive Exzerpierschrankes voller zerschnittener Blätter – das Universalgenie Leibniz notierte die unermessliche Zahl seiner Ideen eben nicht in einer nachvollziehbaren thematischen Ordnung, vielmehr bestand seine Arbeitsweise aus schreibendem Denken und schneidendem Ordnen, was der Nachwelt »ein groß Chaos« bescherte. Vier Editionsstellen sind noch damit beschäftigt, daraus ein geordnetes Werk herzustellen; 60 von 130 geplanten Bänden sind fertig, die Vollendung soll 2055 erfolgen. Leibniz war selbst geradezu die Verkörperung des enzyklopädischen Gedankens, sein Nachlass aus 400 000 Manuskriptseiten und 16 000 Briefen ist zu Recht in das UNESCO-Programm »Memory of the World« aufgenommen.

»Im Jahr 2004 kam die überaus wertvolle Bibliothek des Wehrbereichskommandos II (Hannover) als Dauerleihgabe in die GWLB. Sie umfasst rund 800 000 Bücher und Handschriften vom 16. bis zum 20. Jahrhundert.« So kurz und bündig beschreibt die Bibliothek selbst diesen Bereich. In einer Power-point-Vorführung zeigte Andreas Steinsieck ausgewählte Beispiele des Altbestands – wobei Festungsbau und Kriegstechnik ja durchaus von allgemeinem Interesse sein könnten.
Die Vorträge waren gut abgestimmt und von Marita Simon, der GWLB-Mitarbeiterin für Medien- und Öffentlichkeitsarbeit perfekt koordiniert.
 

Museum der Provinz Hannover

Der Spätnachmittag war einem Besuch im Landesmuseum gewidmet, einen kleinen Parkspaziergang von der Leibniz Bibliothek entfernt. Untergebracht sind in dem 1901 errichteten, gegenüber dem Neuen Rathaus am Maschpark gelegenen neugotischen Gebäude neben Bildender Kunst auch Naturkunde, Ethnologie und ein Münzkabinett; wir widmeten uns in zwei Gruppen einerseits einem Rundgang mit Jost Merscher durch die Abteilung der Malerei und Skulptur von gotischen Altarbildern über Riemenschneider, Cranach und Pontormo bis zu dem Tageszeitenzyklus von Caspar David Friedrich und Gemälden der deutschen Impressionisten und andererseits dem Kupferstichkabinett. Dr. Thomas Andratschke, derzeit mit der Vorbereitung einer großen Slevogt-Retrospektive beschäftigt, bot dort einen temperamentvollen Rundumschlag, blätterte durch die Mappe vom »Weyerberg« der Worpsweder Künstler und ließ die beiden Gruppen en passant an seinen Gedanken zur Kunstgeschichte und -soziologie teilhaben. Solche, die eigene Wahrnehmung und das Vorwissen ergänzende, zurechtrückende, durchaus auch in Frage stellende Vorträge wünscht man sich öfters. In angeregten Gesprächen ging es zum deftigen Abendessen bei Rackebrandt in Hannover-Linden, wo sich seit jeher die Singvereine treffen.
 

Wie Arno Schmidt nach Bargfeld kam

Während der Busfahrt von Hannover gab Hermann Wiedenroth eine Einführung in Arno Schmidts Biografie mit besonderer Berücksichtigung seines Lebensortes und unseres Reiseziels Bargfeld. Der 1914 geborene Hamburger hatte sich in südlicheren Gegenden wie dem Saarland und Darmstadt nie wohl gefühlt und in den 1950er Jahren mit Gerichtsprozessen (wegen Pornographie und Blasphemie) und Armut zu kämpfen. Sein Künstlerfreund Eberhard Schlotter vermittelte dann 1958 das Häuschen in Bargfeld, einem Dorf ohne Kirche ergo Glocken, der Schule am anderen Ortsende und einem Kaufmann gegenüber. 150 Einwohner, einsam auf dem platten Land.
»Das orzüpliche bretterverschalte Fachwerk. Etwas kleiner als durchschnittlich. Fahlgrüner Anschtrich. Lattenzaum mit Tännchen; eine länglich=dunkle Schuppenwand«, so beschreibt es Arno Schmidt in seinem Roman »Kaff auch Mare Crisium« von 1960.
Die Geschäftsführerin der Arno Schmidt Stiftung schließt auf: mit Zaun und Kette hatte Schmidt sich gegen ungebetene Besucher geschützt, nur einer hatte später Zutritt: Jan Philipp Reemtsma, der 1977 als angefixter Student kam und zum Mäzen wurde. Ihm hatten Arno und Alice Schmidt zu verdanken, dass das Häuschen mit seinem Schuppen einsam am Dorfende inmitten eines großen Grundes bleiben, das ambitionierte Werk vollendet und nach dem Tod des Dichters eine Stiftung gegründet werden konnte. Sie pflegt den Nachlass und das Andenken mit Editionen, Ausstellungen und Lesungen, betreut das Wohnhaus als Museum (das nicht mehr als sieben Personen zugleich betreten dürfen) und besitzt dazu idealerweise in der Nachbarschaft ein eigenes kleines Domizil.
Für die meisten von uns war Bargfeld bisher unbekannt, aber auch, wer mit Arno Schmidt Biografie und Büchern vertrauter war und Fotos gesehen hatte, stand beeindruckt in den winzigen altmodischen Räumen: 70 Quadratmeter auf zwei Etagen, im Erdgeschoss das Heiligtum, Arno Schmidts Arbeitszimmer mit der vor allem aus Werkausgaben und Nachschlagewerken bestehenden Bibliothek, ein Weltempfänger, mehrere Schreibmaschinen, auch eine für A3, um »Zettels Traum« zu tippen, sein Schlafzimmer. Ehefrau Alice bewohnte nach Arno Schmidts Herzinfarkt den durch eine schmale, steile Treppe zu erreichenden oberen Stock. Das Badezimmer und die kleine Küche stammen aus einer längst vergangenen Zeit, den 1950er bis 1970er Jahren, alles wirkt bescheiden bis ärmlich. Sogar einen Esstisch sucht man vergebens – gegessen wurde stehend in der Küche, um bloß keine Zeit zu verlieren … Immerhin gingen die Schmidts gemeinsam spazieren, spielten Schach und besaßen ab 1963 einen Fernseher. Übrigens auch ein Tandem, das im Celler Museum steht. Und natürlich immer Katzen, die in dem Gelände ein Paradies hatten und deren Nachkommen sich dort tummeln.
Am Ende des Grundstücks, dort wo man in die Weite schaut, liegt ein Findling, darunter die Urnen des Ehepaars Schmidt.

Im großen Bibliotheks-, respektive Verkaufs- und Veranstaltungsraum des Wiedenrothschen Bücherhauses gab Susanne Fischer einen Einblick in die Arbeit der Stiftung; sie erzählte anschaulich, was außer den rund 7000 Bänden, den acht gut geordneten Zettelkästen und dem umfangreichen Briefwechsel alles zum Nachlass gehört: eine Kunstsammlung, über 2000 Fotos und Dias – Arno Schmidts Landschaftsaufnahmen sind in Ausstellungen und Bildbänden zu sehen –, eine Textiliensammlung, denn Schmidts wollten nichts wegwerfen, sowie Gläser mit Eingemachtem. Der Begriff des »Entsammelns«, des sich von manchem Trennenmüssens liegt da nahe …

Obwohl es Platz zum Bewahren durchaus gibt: Die riesige Kartoffelscheune bietet der Stiftung und  Wiedenroth Lagerraum und Infrastruktur zum Versand.
Im seinem Bücherhaus beeindruckt neben dem wunderbaren Antiquariat, in dem wir uns am Nachmittag noch einmal tummelten und versammelten, die umfangreiche Handbibliothek und eine penibelste Ordnung, alles wirkt geschmackvoll und erlesen.
Über die Geschichte des Hauses und seiner eigenen Sammelfreude plauderte Hermann Wiedenroth wie immer unterhaltsam und druckreif, bevor er sich in seinem Vortrag anderen Antiquarskollegen als Sammlern und Autoren widmete, in einem Rundumschlag von Dieter Gätjens Arno Schmidt-Bibliotheksverzeichnis über H. P. Kraus’ »Saga von den Kostbaren Büchern« und Jürgen Holsteins »Goldrausch« über Fritz Eggerts, Wilhelm Junks und Abraham Horodischs Publikationen bis zu Festschriften, etwa für Susanne Koppels und ihren bibliophilen Katalogen.
Es wurde eine kleine Lehrstunde über das Antiquariat – schwärmerisch, begeisternd und die Branche feiernd.

Aber das war noch nicht alles für diesen Samstag. In Celle stand der Besuch des Bomann-Museums am Schlossplatz an, durch dessen imposante kulturhistorische Räume Dr. Jochen Meiners führte, während parallel dazu im Wechsel Dietrun Otten so vertraut wie kundig Grafiken und Mappenwerke von Eberhard Schlotter öffnete. Der 2014 gestorbene Künstler hat eine umfangreiche Stiftung hinterlassen, die in Celle untergebracht ist und aus der regelmäßig Ausstellungen bestückt werden, derzeit sind es Gemälde und Grafiken unter dem Titel »Echt scharf – der Spiegel als Spielfeld«. Von großem optischen Reiz sind etwa die »Don Quichote«-Prachtausgabe mit zweisprachigem Text mit 160 Farbradierungen in vier Kassetten, seine aus zwei Platten geschaffenen Radierungen zu Joyce’ »Anna Livia Plurabelle« oder die ebenfalls durch den literarischen Lehrer Schmidt angeregten Arbeiten zum Thema »Orpheus«, ein Rundbild und Grafiken, die eben nicht Illustrationen, sondern Bildnacherzählungen sein sollten und zusammen mit dem Schmidtschen Text erschienen. Und Streit auslösten, weil für den Schriftsteller ein nicht hinterfragbares Primat der Literatur galt.


Sonntagmorgen im Antiquariat Wilder

Einer schönen Tradition folgend fand auch diesmal der Abschluss des Fortbildungsseminars in einem befreundeten Antiquariat statt und wir durften ordentlich stöbern und kaufen; für das leibliche Wohl war mit Brötchen- und Kuchenbergen gesorgt, die ebenso wie die Neugier auf deren Kuriosa in die »Romanhefttauschabteilung« lockten.
Natürlich gab es daneben auch Intellektuelles: Markus Brandis hatte einen Vortrag über »Die 1500-jährige Rezeption eines Weltbildes. Almagest und Geographia des Claudius Ptolemäus« vorbereitet,  der tatsächlich ein verständlicher, illustrierter Kurzdurchlauf durch die Astronomie-Geschichte war  – und als Bonbon zum Anschauen noch einen beeindruckend schönen Atlas von 1541 bot. (Zum gelegentlichen Nachlesen kann man bei Markus Brandis ein pdf bestellen.)
Winfried Geisenheyner hatte sich die Geschichte des deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuches vorgenommen, nannte die wesentlichen Stationen von den ABC-Tafeln des 15. Jahrhunderts über die Aufklärung und Rousseau, die politischen und gesellschaftlichen Implikationen mit der Trennung in Mädchen- und Knaben-Literatur im 19. Jahrhundert, die Reformpädagogik und die NS-Ideologie bis zum Perspektivenwechsel seit den 1970er Jahren, als plötzlich die kindliche Weltsicht und Erlebnisperspektive in den Blick gerieten. Wichtiger war ihm jedoch die Bedeutung dieses Genres für Sammler und AntiquarInnen, mündend in ein Plädoyer für Kinderbücher, die jeder Mensch zuerst aufnimmt und die sein Weltbild prägen, und in ein Plädoyer für einen intensiven Austausch darüber zwischen den Händlern und den Sammlern mittels Katalogen und im persönlichen Gespräch.

Da die Verteilung der Teilnahmeurkunden bereits am ersten Abend stattgefunden hatte, die Danksagungen an Eberhard Köstler und Regina Kurz für ihre immerwährende Rundumbetreuung am zweiten Abend, die an Hermann Wiedenroth in Bargfeld, galt jetzt der Dank dem gastgebenden Ehepaar Wilder und dem neuen Dreiergespann Alexis Cassel, Markus Brandis und Wiedenroth, die gemeinsam mit Annemieke und Gerard Leyerzapf sich nun in Amsterdam für das kommende Fortbildungsseminar umsehen werden. Ein Wunsch wurde mehrfach geäußert: ein bisschen mehr Zeit zum eigenen Schauen und gelegentlichen Atemholen einzuplanen.
Ansonsten geht es jetzt ans Postkarten schreiben, damit Regina Kurz und Eberhard Köstler der Abschied nicht so schwer fällt …


Text/Fotos: Irene Ferchl

 

 

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