» Zur Antiquariatsmesse Stuttgart - 24. - 26. Januar 2025 »
Bei strahlendem Sonnenschein mischten sich die knapp 40 Teilnehmer*innen des diesjährigen Verbandsseminares in Zürich unter die Student*innen der renommierten ETH und trafen sich auf der Mensa-Terrasse. Mit herrlichem Blick über die Stadt und dem Unitrubel im Hintergrund war die Freude über das Wiedersehen und das bevorstehende Programm der nächsten Tage allen anzusehen.
Das eindrucksvolle Gebäude der 1855 gegründeten Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) beherbergt neben einer umfangreichen, wenngleich verhältnismäßig jungen Bibliothek auch das letzte Arbeitszimmer Thomas Manns. Die Schweiz war für Thomas Mann nicht nur der erste Stopp seiner Emigration, sondern nach dem Krieg auch Heimat während seiner letzten drei Lebensjahre (1952–1955).
Nach Umbauarbeiten präsentiert die ETH nun, Betrachter*innen-orientiert mit nach Außen gewandten Buchrücken, das rekonstruierte Letzte Arbeitszimmer Thomas Manns. Die Initiative stammte von den Kindern Manns und vereint Objekte, die zu unterschiedlichen Zeiten Platz auf seinem Schreibtisch fanden und ihm auch in schweren, unsteten Jahren der Emigration Inspiration und quasi eine Heimat in Gegenständen gaben, wie Dr. Tobias Amslinger, schön formulierte. In Form eines Regalquaders mit viel Glas konnten die Antiquar*innen Blicke auf diese Zeitkapsel werfen. Eine kleine anschließende Ausstellung widmete sich dem Tournee-Star Mann und seinen Vorträgen und Reden.
Nach dem Bewältigen einiger Stockwerke erreichten die Teilnehmer*innen schließlich den zweiten Programmpunkt in der ETH. Dr. Meda Diana Hotea gab uns einen Einblick in die Geschichte und stellte aktuelle hauseigene Projekte zur Provenienzforschung und Digitalisierung vor. Den Abschluss bildete die Präsentation der kleinen Ausstellung Fliessen – Giessen – Geniessen. Vom alltäglichen Gebrauch des Wassers, die u. a. die Veränderung der Wasserflächen um und in Zürich (Limmat, Sihl u. Zürichsee) verdeutlichte. Der letzte Programmpunkt fand an der frischen Luft statt. Auf zwei von Dr. Ute Kröger und Martin Dreyfus geführten Literaturspaziergängen durch die Zürcher Altstadt wandelten die Teilnehmer*innen auf revolutionären Pfaden von Lavater bis Lenin oder den zahlreichen Emigrant*innen, die in Zürich Zuflucht vor dem Nazi-Regime suchten. Ganz klassisch und typisch schweizerisch endete der erste Tag mit deftigem Käsefondue.
Der zweite Tag erwartete uns mit einer dichten Agenda. In vier Gruppen aufgeteilt verbrachten die Teilnehmer*innen den Vormittag in den einzelnen Spezialsammlungen der Zürcher Zentralbibliothek, die von ihren jeweiligen Leiter*innen vorgestellt wurden. Neben spannenden Einblicken in die Restaurierungswerkstatt, bei der der/die eine oder andere versuchte, sich ein bisschen etwas für den »täglichen Gebrauch« im Antiquariat abzuschauen oder den humorvollen, mit kantonalem Stolz gespickten Erläuterungen zum Bestand Alte Drucke mit Zwingli-Annotationen, bekamen wir seltene Einblattdrucke und frühe Beispiele von »Photoshop« in der Grafischen Sammlung zu sehen. Ein auf einem Dachboden gefundenes Pergament mit einer Darstellung des sog. St. Gallener Globus, Bekundungen der Freundschaft (mal mit größerem, mal mit kleinerem literarischen Wert) in Alba amicorum, die einzelnen Schritte der Digitalisierung oder auch Notendrucke des noch lange nicht endgültig erforschten Verlegers und Komponist Hans Georg Nägeli in der wunderschönen Atmosphäre der Musikaliensammlungen (im seit der Reformation abgetrennten Chor der zur Zentralbibliothek gehörenden Predigerkirche) vollendeten die Führung.
Nach diesem eindrucksvollen Querschnitt durch die Sammlungsgebiete und einer wohlverdienten Mittagspause traf sich ein Teil der Gruppe zur Führung mit Jochen Hesse durch die Ausstellung Vom Schlaraffenland zum Totentanz, die das facettenreiche Œuvre des Schweizer Künstlers und Kinderbuchillustrators Hans Witzig (1889-1973) thematisierte. Der andere Teil erreichte nach einem kurzen Spaziergang auf der anderen Limmatseite den Strauhof, wo uns Käthe Wünsch mit einer thematisch vielschichtig konstruierten Ausstellung zum Verbot von Büchern aber auch ganzen Typen empfing. Unter dem Titel Satanische Verse & verbotene Bücher konnte man eine Zeitreise vom Index librorum prohibitorum, über die Bücherverbrennungen der Nazis 1933 hin zum aktuellen Beispiel von Salman Rushdie unternehmen. Auch am zweiten Abend meinte es das Wetter gut und lud zum Apéro im Freien ein.
Auch wenn der angekündigte frühe Treffpunkt für die Fahrt nach St. Gallen am Samstag in der Früh nicht jede*n begeisterte, so kann man doch sagen, dass es sich für die Teilnehmer*innen gelohnt hat. Das Weltkulturerbe des St. Gallener Klosterbezirkes war definitiv ein Highlight. Dr. Karl Schmuki führte in einer lebendigen und abwechslungsreichen Tour durch die beeindruckende Klosterbibliothek, die u.a. durch ihren großen Bestand an Handschriften, die vor dem Jahr 1000 niedergeschrieben wurden, besticht. So konnte in den Vitrinen etwa ein Evangelienfragment bewundert werden, das wohl noch zu Lebzeiten Hieronymus‘ im 5. Jahrhundert geschrieben wurde.
Auch das Kloster-Archiv ist beachtlich, einer der frühesten Bibliothekskataloge verzeichnet über 400 vor dem Jahr 1000 geschriebene Handschriften. Noch heute beherbergt die Bibliothek gut 200 der dort genannten Titel – den Ereignissen der letzten 1000 Jahre zum Trotz! Daran anschließend folgte die Präsentation ausgewählter Stücke durch Dr. Cornel Dora, der anhand kolorierter Einblattdrucke aus der Sammlung des rebellischen Mönches Gallus Kemli (1417–1481) die turbulente Geschichte dieser einzigartigen Kollektion von den mit Entsetzen aufgenommenen Verkäufen im Jahr 1930 bis zur »Heimkehr« einiger Blätter in den letzten Jahrzehnten nachzeichnete. Den Nachmittag zur freien Verfügung verbrachten einige in der Sonne, beim Flanieren über den Flohmarkt, im Textilmusem St. Gallen oder dem ehrfurchtsvollen Warten auf die 20-sekündige Illumination des St. Gallener Klosterplans, der wie kein anderes Dokument für den monastischen Reichtum des Klosters steht.
Nach der Rückfahrt erwartete uns Peter Bichsel in seinem schönen Antiquariat. Nach einem ersten Apéro-Empfang kam noch ein weiteres Highlight des Tages mit dem Vortrag von Arno Gschwendtner zu seinem Sammelthema »Miniaturbücher«, dessen lebhafte Erzählungen ansteckende Begeisterung verbreiteten.
Der letzte Tag war gänzlich Robert Walser gewidmet (1878–1956). Nach einer kurzen Zugfahrt nach Wädenswil am Zürisee erwartete uns Bernhard Echte bereits am Bahnhof und führte uns zur Villa Abendstern, wo Walser den Stoff für sein Werk »Der Gehülfe« erlebte. Mit überzeugter Initiative und viel Liebe zu Walsers Œuvre und Umkreis ist es Bernhard Echte gelungen, das abbruchgefährdete Haus zu retten und als Walser-Ort zu bewahren. Wenngleich die Villa Abendstern mit Blick auf den Zürisee kleiner ist als ihre Nachbarvillen, so hätten wir wohl an keinem Ort besser den letzten Tag dieses bibliophilen Zusammenseins verbringen können. Nicht nur einmal konnte man hören: Ach, wie schnell sind die Tage doch wieder vergangen…. Darum bleibt an dieser Stelle nur mehr ein herzliches Danke für die großartige Organisation an Gabriel Müller, Alexis Cassel und Dr. Markus Brandis auszusprechen, die uns mit diesem abwechslungsreichen Programm wieder einmal ein memorables Seminar im schönen Zürich ermöglicht haben – mit Vorfreude erwarten wir das nächste Seminar!
Elena Jakobi
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